Das Dauer-Piepsen der Supermarktkasse hat Kassierin Brigitte K. noch in ihren Ohren, wenn sie ihren Sohn vom Kindergarten abholt - Nachmittagsbetreuung gibt es keine, zumindest keine, die sie sich trotz Erwerbsarbeit leisten könnte. Und damit nicht genug: Neben dem Kochen, Wäschewaschen, Putzen und Bügeln wartet auch ihre zu pflegende Mutter zuhause auf sie.

Die Supermarktkassierin stellt allerdings keinen Einzelfall dar. In Österreich werden 80 Prozent der Betreuung und Pflege behinderter oder älterer Personen im informellen, familiären Bereich geleistet, so Forscherinnen des Instituts Forba. Wiederum 80 Prozent davon werden von Frauen ausgeübt. Nicht wesentlich anders gestaltet sich die Situation in den Einrichtungen, die mobile und/oder stationäre Pflege anbieten: Auch hier sind über 90 Prozent der MitarbeiterInnen Frauen.

Auch die bevorstehende Gesundheitsreform wird die Frauen vermehrt in die Pflege von Angehörigen drängen. Elf Milliarden Euro sollen Bund und Länder bis 2020 bei MedizinerInnen und Spitälern einsparen. "Der öffentliche Versorgungsbereich wird ausgehungert", kritisiert etwa die Ärztekammer im Ö1-Abendjournal am Mittwoch. Damit einher geht auch, dass PatientInnen aus den Krankenhäusern früher entlassen werden sollen. Da das aber nichts mit schnelleren Heilungsprozessen zu tun hat, wird die Versorgung der Entlassenen in den Privatbereich ausgelagert.

"Aushungern öffentlicher Versorgungsbereiche"

Diese Problematik wurde lange Zeit als Vereinbarkeitsfrage von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung behandelt, der "neue und an Bedeutung gewinnende Aspekt ist der der familiären Pflege", so Ingrid Mairhuber, Arbeitsforscherin bei Forba, per Aussendung. Neben dem "Aushungern öffentlicher Versorgungsbereiche" seien es komplexe gesellschaftliche Entwicklungen, die die Versorgungsarbeit insbesondere von Frauen in den Mittelpunkt rücken lassen: Die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und die Erosion des männlichen Familienerhalter-Modells, der demografische Wandel und der Anstieg des Pflegebedarfs, aber auch die zunehmende Entgrenzung und Flexibilisierung von Arbeit.

"Informelle, familiäre Pflege führt, selbst bei hoher Pflegeintensität - etwa in nordeuropäischen Ländern - nicht unbedingt zur Aufgabe der Erwerbsarbeit, während in den süd- und mitteleuropäischen Ländern (einschließlich Österreich) die Übernahme der Pflegearbeit mit einem deutlichen Rückgang der Erwerbstätigkeit einhergeht", so Mairhuber. Zurückzuführen sei dies auf eine höhere Arbeitsmarktbindung in den nordeuropäischen Ländern und auf unterschiedliche Vereinbarkeitspolitiken.

Weg von der "Familialisierung der Pflege"

Österreich müsse, Mairhuber zufolge, weg von der "Familialisierung der Langzeitpflege". Sie plädiert für einen Ausbau der Sach- und Dienstleistungen gegenüber individuellen finanziellen Transfers in der Pflegepolitik bei gleichzeitiger Aufwertung der Betreuungs- und Pflegearbeit. Immerhin beziehen derzeit rund 420.000 Personen Pflegegeld, 350.000 von ihnen werden zuhause überwiegend von Angehörigen gepflegt. Die Arbeitsmarktforscherin empfiehlt zudem Überlegungen zu Pflegekarenz und betriebliche Maßnahmen anzustellen.

Dass der Pflegebedarf - abgesehen von den zu erwartenden Folgen der Gesundheitsreform - steigen wird, zeigen auch die Zahlen der Statistik Austria: 2030 wird jedeR Neunte in Österreich über 75 Jahre alt sein. Die Debatte wie mit dem demografischen Wandel und dem damit verbundenen Pflegenotstand umzugehen sei, wird in Österreich seit Jahren nicht sehr fruchtbar diskutiert. Es herrsche inzwischen zwar ein Bewusstsein für die Problematik, Lösungen sind jedoch nicht in Sicht, so Mairhuber. Ob Brigitte K. von möglichen strukturellen Verbesserungen in ihrer täglichen Vereinbarkeitsfrage profitieren wird, darf also bezweifelt werden. (eks, dieStandard.at, 25.10.2012)