Dieser Bericht wurde im Rahmen von Eurotours 2012 erstellt. Eurotours ist ein Projekt der Europapartnerschaft, finanziert aus Gemeinschaftsmitteln der EU.

Foto: eurotours

Für Edward Sawicki war es ein ganz normaler Arbeitstag im August 2011. Der Bauer holte die Ernte ein, als er plötzlich Arbeiter auf einem seiner Felder entdeckte. Aufgebracht, wie er war, stellte er sie zur Rede. Es waren Mitarbeiter einer Gasfirma, die sein Grundstück untersuchten, um herauszufinden, ob die Voraussetzungen für den Abbau von Schiefergas gegeben sind. Sawicki war zuerst überrascht, dann wütend und schickte die Arbeiter weg. Sie besaßen keine Genehmigung, sich auf seinem Grundstück aufzuhalten. Als sie ihre Geräte einpackten und Fahrzeuge bestiegen, um sich auf den Weg zu machen, war Sawicki erleichtert. Was an jenem Nachmittag vorgefallen war, wollte dem Bauern aber nicht mehr aus dem Kopf gehen.

Foto: derstandard.at

Er erinnerte sich an den Film "Gasland", den er gesehen hatte. Verdrecktes Trinkwasser, zerstörte Böden und tote Tiere. In Sawickis Kopf tauchten schreckliche Bilder auf. Das sogenannte Fracking, bei dem mit Hilfe von aggressiven Chemikalien das im Schiefergestein vorhandene Gas aus dem Boden gepresst wird, fordert enorme Konsequenzen. Zu dem Ergebnis kam auch eine Untersuchung im Auftrag der EU-Kommission, die im September veröffentlicht wurde. Der Studie zufolge steigt durch den Abbau von Schiefergas das Risiko für die Verschmutzung von Wasser, Luft und Böden, für die Zerstörung von Landflächen und für die Beschleunigung des Artensterbens.

All die Umweltschäden sollte es bald auf Sawickis eigenen Grund und Boden geben? Nein, das wollte der Bauer nicht zulassen. Er beschloss noch am selben Abend, gegen die Gasfirmen aufzutreten und ihnen auf keinen Fall eine Genehmigung für Probebohrungen zu erteilen. "Ich werde nicht in den Händen der Konzerne landen", schwor er sich. Sawicki hatte sich dem Kampf gegen Fracking verschrieben.

Unabhängig von Russland

Während Österreich bei der Schiefergas-Gewinnung noch eher zögerlich vorgeht – zuletzt verkündete die OMV, aus wirtschaftlichen Gründen darauf zu verzichten -, sieht Polens Regierung eine große Chance im Fracking. Das Land will unabhängig von Gasimporten aus Russland werden oder die Abhängigkeit zumindest einschränken.

Das Staatliche Geologische Institut schätzt, dass in Polen zwischen 345 und 768 Milliarden Kubikmeter Schiefergas lagern. Das Institut bezieht sich dabei auf Analysen des bei Probebohrungen geförderten Materials. Diese Menge würde den polnischen Gasverbrauch für 20 bis 50 Jahre decken.

13 Kühe, 20 Schafe

Für Probebohrungen wurden bereits mehr als 100 Lizenzen an nationale und internationale Firmen vergeben, auch in der Heimatregion von Bauer Sawicki. Zu seinem Hof führt keine asphaltierte Straße. Das Auto rumpelt auf der Fahrt zum Anwesen des 42-Jährigen. Der großgewachsene Mann mit dem Flinserl im rechten Ohr lebt allein mit 13 Kühen, 20 Schafen und ein paar Hunden auf seinem 60 Hektar großen Anwesen in der Woiwodschaft Pommern im Nordosten des Landes. Seine Kühe ruft er beim Namen. Ein paar Nachbarn gibt es in dem kleinen Dorf Ogonki, das nicht mehr als ein paar Dutzend Einwohner zählt. Die Stadt Danzig ist 60 Kilometer entfernt.

Foto: derstandard.at

Sawickis Heimatregion heißt Kaschubien. Die Menschen hier sind arm, leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. Es gibt viele Felder, Seen und Wälder, die Landschaft ist sehr ursprünglich. Man fühlt sich um einige Jahrzehnte zurückversetzt, einerseits durch die Ruhe und Langsamkeit, andererseits durch die lückenhafte Infrastruktur, die sich etwa in den unasphaltierten Straßen zeigt. Eine öffentliche Verkehrsanbindung in die Stadt gibt es nicht, hier ist man auf ein Auto – mit guten Stoßdämpfern – angewiesen.

Bemalter Kuhstall

"Stoppt Schiefergas", steht in großen Lettern auf Sawickis Kuhstall. Gemeinsam mit Freunden, die ihm beim Zeichnen des Graffitis geholfen haben, hat er die Außenmauer seines Wirtschaftsgebäudes zur Protestzone erklärt. Die Zeichnungen sind in Schwarz-Weiß gehalten. "Schiefergas-Bohrungen sind tödlich für unser Trinkwasser", steht an der Wand. Der gezeichnete Boden ist vergiftet und völlig zerstört, aus einem Wasserhahn tropft nur noch verdrecktes Wasser.

Foto: derstandard.at

Demonstration am Bohrplatz

Sawicki ist nicht alleine mit seiner Angst vor dem Fracking. In Kaschubien haben sich Betroffene zu einer Bürgerinitiatve zusammengeschlossen. Umweltaktivist Hieronim Więcek organisiert Informationsveranstaltungen, um auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Die bisher größte Aktion der Schiefergas-Gegner war eine Demonstration bei einem Bohrplatz, wo Probebohrungen durchgeführt wurden. Ein paar Dutzend Bürger kamen trotz Regenwetters zusammen und äußerten ihren Unmut.

Foto: derstandard.at

Heute ist der Bohrplatz verlassen, die Arbeiter sind wieder abgezogen. Das bei den Probebohrungen gewonnene Material wird derzeit in Labors untersucht. Die Angst unter der Bevölkerung ist groß, dass der Platz nicht verlassen bleibt, sondern bald schon wieder von Arbeitern heimgesucht wird, die das Schiefergas dann auch tatsächlich abbauen. In den USA ließ der Abbau von Schiefergas im Bundesstaat Pennsylvania die Krebsraten in die Höhe steigen. Haustiere starben, das Wasser in den Leitungen war vergiftet. Grund dafür sind krebserregende Verbindungen wie Benzol, die beim Fracking zum Einsatz kamen.

Überzeugungsarbeit

Die Regierung hält trotzdem an ihren Plänen fest. In der Woiwodschaft Pommern gibt es nach anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten nun eine Schiefergas-Beauftragte. Malgorzata Klawiter soll mit den Leuten sprechen und den Bürgern die Ängste vor den Bohrungen nehmen. Im Interview mit derStandard.at erklärt Klawiter ihren Job: "Mein Ziel ist es, zu wissen, wie die Bevölkerung über Schiefergas denkt. Für unseren Landeshauptmann ist es wichtig, informiert zu sein."

Sie gibt Fehler der Verantwortlichen zu: "Die Regierung hat keine große Kampagne gemacht, um die Leute im Vorfeld zu informieren, das stimmt. Es wurden Konzessionen vergeben, ohne viel zu informieren." Trotzdem ist sie überzeugt, dass sie die Menschen umstimmen kann. Schließlich winken viele Arbeitsplätze. Wenn die Bürger aber dabei bleiben, dass sie keine Bohrungen wollen? Klawiter: "Wenn sie Nein sagen, dann heißt es auch Nein. Ich bin nicht der Meinung, dass die Schiefergas-Produktion überall stattfinden muss. Wenn es die Bürger ablehnen und sie niemand überzeugen kann, soll man sie in Ruhe lassen."

Kein Interesse der Medien

Für Protest-Organisator Więcek sind das nur Worthülsen. Er gibt auch den Medien eine Schuld daran, dass der Protest noch nicht mehr Wirkung gezeigt hat. Bisher haben nur kleine regionale Bätter über die Proteste berichtet, die landesweiten Medien interessiert das Thema nur am Rande. Bauer Sawicki sagt: "Bisher haben mich nur ausländische Journalisten besucht, um das Graffiti am Stall zu fotografieren."


Foto: derstandard.at

Die einzige Partei, die sich gegen den Abbau von Schiefergas ausspricht, sind die Grünen. Die Partei heißt in Polen "Zieloni 2004". Kein Vertreter der Partei ist jedoch im Parlament vertreten, nur auf kommunaler Ebene tauchen einige Mandatare auf. Die Grünen der Woiwodschaft Pommern haben gemeinsam mit verschiedenen Bürgerinitiativen einen Brief an Premierminister Donald Tusk geschrieben mit der Bitte, Abstand von den Bohrungen zu nehmen. Wörtlich heißt es darin: "Wir sind zutiefst besorgt und drücken unseren entschiedenen Widerstand gegen den Abbau von Schiefergas aus. Die derzeitigen Regelungen bieten keinen ausreichenden Schutz gegen die Gefahren für die Umwelt und die menschliche Gesundheit."

Foto: derstandard.at

Kommunismus und Kirche

Ob der Brief etwas bewirken wird? Bauer Sawicki hat sein Vertrauen in die Politik längst verloren, will von alldem gar nichts mehr wissen. Warum sich die Bevölkerung nicht mehr zur Wehr setzt? Der Bauer glaubt, der lange Jahre in Polen gelebte Kommunismus ist schuld daran, dass sich die Leute keine eigene Meinung bilden und sich nicht an Protesten beteiligen.

Umweltaktivist Więcek kennt noch einen anderen Grund für die zögerliche Haltung seiner tiefgläubigen Landsleute: "Solange sich die Pfarrer in den Kirchen nicht gegen Schiefergas aussprechen, wird gar nichts passieren." (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 15.11.2012)