Zwei Stunden schilderte der 87-jährige Harry Bibring, was er unter Hitler erlebte und wie er aus Österreich entkam: für die Schüler höchst interessant, auch wenn wenig Zeit für Fragen war.

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Wien - Was in der Hitler-Zeit mit den Juden geschah, wie sie ausgeschlossen, beraubt, vertrieben und ermordet wurden, war der 16-jährigen Elisabeth aus dem Unterricht bekannt. Dennoch habe sie von dem Zeitzeugen Harry Bibring Neues erfahren, sagt die Schülerin des Gymnasiums in der Wiener Kundmanngasse.

"Ich wusste nicht, dass sich die Novemberpogrome 1938 über Tage gezogen haben. Und überhaupt, was dabei für schreckliche Sachen passiert sind", erläuterte sie nach den fast zweistündigen Schilderungen des 87-jährigen pensionierten Produkttechnik-Ingenieurs. Dieser hatte minutiös erzählt, wie er, ein begeisterter Eisläufer, nach dem Anschluss im März 1938 am Eingang des Wiener Eislaufvereins als Jude plötzlich weggeschickt wurde.

Wie sein Vater am 10. November 1938 auf offener Straße "verschwand", am Tag, nachdem die Nazis abends 73 Wiener Synagogen angezündet hatten: die ganze furchtbare Geschichte, bis hin zur Flucht aus Österreich.

Denn Bibring, 1925 als Sohn eines Kleidergeschäftsinhabers auf der äußeren Mariahilfer Straße geboren, überlebte den Holocaust nur, weil er 1939 mit einem Transport jüdischer Kinder nach England kam. Seine Eltern wurden ermordet. Seit seinem beruflichen Rückzug 2003 besucht er Schulklassen, um jungen Generationen zu vermitteln, wie es unter Hitler wirklich war: in seiner jetzigen Heimat England und in Österreich, auf Initiative des London Jewish Cultural Center und des Gedenkdienstes, mit Unterstützung des Nationalfonds.

In Wien sind noch bis Freitag fünf Zeitzeugen unterwegs, in Schulen wie der Kundmanngasse, wo dies laut Direktorin Marion Waldmann "Tradition" hat. Ein Überdruss an der Aufarbeitung des Holocaust käme nur in Ausnahmefällen auf, wenn das Thema in vielen Fächern unkoordiniert aufgegriffen werde, sagt sie. Aber nicht, wenn man eine solche Geschichte höre.

Die Stärke, die Bibring bewies, beeindruckt auch den 15-jährigen Joseph: " Ich fand sehr interessant, wie er es geschafft hat, sich ein neues Leben in England aufzubauen", sagte der Sechstklassler. (Irene Brickner, Martina Nagel, DER STANDARD, 8.11.2012)