"Ein schönes Schulgebäude signalisiert den Kindern, ernst genommen zu werden", sagt die ehemalige Direktorin Marie Holm.

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Als Marie Holm nach Österreich eingeladen wurde, um über Ganztagsschulen zu referieren, wusste sie zunächst gar nicht, was man von ihr wollte. "In Schweden gibt es seit den 1970er-Jahren Ganztagsschulen. Wir sind schon lange davon überzeugt, das ist ganz normal", sagt die ehemalige Schuldirektorin im Gespräch mit derStandard.at. Für Holm war es umso verwunderlicher, dass in Österreich immer noch darüber diskutiert wird, ob Ganztagsschulen sinnvoll sind oder nicht.

Bei ihrer Klausur vergangene Woche konnte sich die Bundesregierung nicht auf finanzielle Mittel einigen, die man dieser Schulform zukommen lassen sollte. Der Ausbau der Ganztagsschulen wurde auf nächstes Jahr verschoben (derStandard.at berichtete).

Holm reagiert darauf nur mit Kopfschütteln. Sie hat in Schweden nur gute Erfahrungen mit Ganztagsschulen gemacht. Acht Jahre lang war sie Direktorin der Skogstorpsskolan in Kumla, heute ist sie Verantwortliche des Bereichs "Kinder und Bildung" in der 140.000-Einwohner-Stadt Örebro. Am Montag war sie auf Einladung der Arbeiterkammer, des Vereins Bildung Grenzenlos und der Armutskonferenz in Wien.

Schule das "Allerwichtigste"

Holm sollte anhand ihrer ehemaligen Schule zeigen, wie die Umsetzung einer ganztägigen Schule aussehen kann. "Jeder hat Zugang zu Bildung, egal welches Geschlecht, welchen sozialen oder ökonomischen Hintergrund man hat", sagt sie. "Jeder soll in eine gute Schule gehen können, das ist das Allerwichtigste."

Die Skogstorpsskolan gibt es seit zehn Jahren. Kinder im Alter von eins bis 16 Jahren besuchen die Schule und profitieren voneinander. Kinder unterschiedlichen Alters gemeinsam zu unterrichten ist Teil des Konzepts. Für Holm ist das auch realitätsnah, denn: "Ich gehe auch nicht nur zu Treffen, wo ausschließlich 52-Jährige sind." Nirgendwo in der Gesellschaft sei man nur mit Gleichaltrigen zusammen.

Schularchitektur

Bevor die Schule gebaut wurde, habe man sich vor Augen geführt, wie viel Zeit die Kinder dort verbringen werden. Durch innovative Schularchitektur sei es möglich gewesen, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Es gibt sowohl Klassenräume mit Rückzugsmöglichkeiten als auch Gemeinschaftsräume, um zu musizieren oder Sport zu treiben. Das Mittagessen wird in einer großen Aula im Zentrum der Schule ausgegeben. Gleich daneben befindet sich die Bibliothek.

Lehrer und Schüler jedes Alters essen gemeinsam. "Die Größeren helfen den Kleinen", erklärt Holm die Vorteile. Man achte darauf, dass das Essen gesund ist. Für die Kinder ist es gratis, die Lehrer müssen 2,50 Euro zahlen.

Wertschätzung

Dass die Schularchitektur eine große Rolle spielt, ist für Holm selbstverständlich. Die Kinder sollen sich wohlfühlen: "Es ist wichtig, dass die Umgebung und die Schule schön gestaltet sind. Man zeigt den Kindern damit, dass sie wichtig sind." Lieblos gestaltete oder gar heruntergekommene Schulgebäude würden genau das Gegenteil signalisieren.

Auch Chancengleichheit ermöglicht eine Ganztagsschule, ist Holm überzeugt: "Die Kinder werden auf ein Level gebracht - egal ob sie Migrationshintergrund haben oder nicht." Alle finden dieselben Bedingungen vor, kein Kind wird benachteiligt, weil am Nachmittag zu Hause niemand mehr mit ihm lernt.

Die Rolle der Lehrer bezeichnet Holm als wichtig. So gibt es an der Skogstorpsskolan Lehrer, die speziell für das Freizeitprogramm ausgebildet sind. Sie arbeiten aber eng mit den übrigen Pädagogen zusammen.

Soziale Kompetenzen

Durch die ganztägige Schulform haben die Kinder auch mehr Zeit zu lernen, wie sie miteinander umgehen sollen. "Sie können miteinander spielen, das ist in einer Schule, die nur am Vormittag stattfindet, nicht in dem Umfang möglich", sagt Holm.

Dass sich ganztägige Schulformen positiv auf das Sozialverhalten der Schüler auswirken, belegt auch eine Studie aus Deutschland. Für die seit 2005 laufende Längsschnitt-Studie des Deutschen Jugendinstituts wurden deutschlandweit in drei Wellen im Zwei-Jahres-Abstand jeweils mehr als 50.000 Personen (Direktoren, Lehrer, Eltern, Schüler) befragt, darunter jeweils rund 30.000 Schüler zwischen acht und 15 Jahren.

Keine Auswirkung auf Noten

Das Ergebnis: Die dauerhafte Teilnahme am Ganztagsangebot führt zu einer positiven Entwicklung des Sozialverhaltens. Keinen Einfluss zeigte die reine Teilnahme jedoch auf Lernmotivation, Schulfreude, Übernahme sozialer Verantwortung und Notenentwicklung. 

Noten sind in Marie Holms Augen aber auch nicht das Wichtigste: "Wir wollen die Schüler zu mündigen Bürgern erziehen." Durch das Umgehen miteinander lerne man die Spielregeln der Demokratie kennen. Und das sei viel entscheidender als Noten. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 13.11.2012)