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Auch aggressiv lässt sich Nestroy spielen: Nicholas Ofczarek als Schauspieler Pitzl in Reichenau.

Foto: APA/Jäger
Wie die Landschaft um Reichenau, so lieben auch die dortigen Festspiele die Extreme - steile Aufstiege, tiefe Abstürze: Ein lauter Nestroy und ein zahmer Schnitzler markieren in diesem Sommer die Gegenpole.


Reichenau - Der Semmering wird, seit kaum noch ein Zug auf der Passhöhe hält, immer stiller; das Theater dort immer lauter: Als Klamauk inszenierte Michael Gampe am Wochenende die 1856 in Reichenau entstandene Posse Umsonst. Allzu lahm hingegen präsentierte Jürgen Kaizik seine Adaption von Schnitzlers Traumnovelle im Südbahn-Hotel. Reiseführertipp: Wer Action will, soll den Nestroy im Reichenauer Kurtheater anstreben; wer Architektur erleben will, kann dies nur an den durch die großartige Hotelanlage ziehenden Schnitzler-Abenden machen.

Der Publikumserfolg spricht zunächst einmal für Umsonst. Verblüffend gut passt das Stück zu Bernhards Theatermacher, der in Reichenau heuer sehenswert gegeben wird: Wie Bernhard zeigt auch Nestroy eine Theatertruppe in der oberösterreichischen Provinz. Und auch Nestroys Posse zeigt die Kluft zwischen enormem Kunstanspruch und dilettantischem Scheitern. Und beide schockieren mit Familientyrannen. In den Aufführungen ist auch das Bühnenbild (Peter Loidolt) zum Teil ident.

Aus diesen Parallelen hätte sich viel machen lassen. Michael Gampe setzt aber voll auf die so erfolgreiche wie künstlerisch verhängnisvolle Klamauktradition der Volksbühne. Ein Beispiel: Wenn sich der Regensburger Fabrikant Finster, sein nach Steyr zwecks Erziehung entsandter Schützling Emma und deren vermeintlicher Liebhaber in einer Szene gegenüberstehen und der den echten Liebhaber (zwecks Fabrikantentäuschung) nur fingierende Pitzl der Emma eine Ohrfeige versetzen will: Was wird in dieser Inszenierung da wohl geschehen? - Erraten: Emma bückt sich, die Ohrfeige trifft den Finster. - Solche Szenen haben seit 200 Jahren im Volkstheater Erfolg.

Und so ist dieser Abend: erfolgreich, aber nie innovativ. Immerhin aber ausgezeichnete Schauspieler, allen voran Nicholas Ofczarek, der als Pitzl (den spielte auch Nestroy) ganz stark den aggressiven Nestroy spielt, den Aufflammenden und Anklagenden. Michael Dangl als Arthur ist sanfter. Und Toni Böhm hat sich mit einem frühkapitalistisch-kalten Fabrikanten etwas einfallen lassen, kontrastierend zum Kapitalisten Maushuber (Edd Stavjanik).

Dass in Oberösterreich schlecht gekocht wird, demonstriert Susanne Kubelka als Köchin Margarete, und dass selbst dort Frauen verblühen, das trägt mit Würde Sylvia Lukan zur Schau. - Schade nur, dass Michael Gampe den Provinzkolorit durch das Wienerische in Figurenführung und Sprache einebnete. Aber das Publikum war begeistert.

Nicht ganz so im Südbahnhotel. Was für ein herrliches Hotel mit dem Flair versunkenen (und 1938 vertriebenen) Bürgertums - Davos und Wien in einem, Verfall und Verdrängung: Im ersten Akt lässt Jürgen Kaizik im Foyer die zwanglose Ballnacht aus der Traumnovelle aufleben, wo der Arzt Fridolin (Bernhard Schir) und seine Frau Albertine (Gabriela Benesch) auf erotische Abwege geraten, an den Rand ihres sonst so gesichert scheinenden Lebens.

Südbahn-Erotik

Dann zieht man weiter, in den spiegelnden Speisesaal und zuletzt in den Waldhofsaal im ersten Stock. Diese Räume sollen also durch Schnitzler belebt werden. Doch diese Vorgabe ist zu groß. Schon deshalb, weil Stanley Kubricks Eyes Wide Shut als mächtiges Vorbild dieser Aufführung dieselbe Vorlage eben nicht historistisch behandelte, sondern nach New York verlegte und so die Gegenwart aus dem alten Text heraus beleuchtete.

Jürgen Kaizik kann in seiner Vergangenheitsbeschwörung demgegenüber nur einige Akzente einbringen (stark das Antisemitismusmotiv, mit Joseph Lorenz als Pianist und Bela Koreny als Kostümverleiher). Vor allem die Schauspielerinnen sind hier aber - gelinde gesagt - eben keine Kidmans. Überdies müssen sie leider auch noch sehr unbekleidet herumstaksen.

Jürgen Kaizik nimmt Versatzstücke moderner Regie - vom Laufsteg-Acting bis zur Filmeinspielung -, aber es generiert keine Kraft daraus, das Hotel wird bespielt, doch nicht belebt.

Draußen am Balkon saß 1930 Robert Musil. Diese Art von Theater hasste er. Aber das Hotel und die Landschaft sind trotzdem schön. (DER STANDARD, Printausgabe vom 7.7.2003)