Walter Heun arbeitet an der Vernetzung des Tanzquartiers mit Institutionen anderer Kunstsparten.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Was hat Ihre bisherige Zeit als Tanzquartier-Chef in Wien geprägt?

Heun: Die Szene hier ist großartig, wirklich international und von Künstlern geprägt, die im Tanzdiskurs ganz vorn dabei ist. Insofern ist es schon als Geschenk zu betrachten, dass man in so einem Umfeld arbeiten darf. Ich wollte das Haus von Anfang an öffnen, und das ist aufgegangen. In Wien lässt sich für unterschiedliche Produktionen ein unterschiedliches Publikum finden, und man kann die Auseinandersetzung mit der Kunstform Tanz und Performance so vorantreiben wie in keiner anderen Stadt.

STANDARD: Kann man die österreichische Szene mit der deutschen vergleichen?

Heun: Nein, das funktioniert nicht, weil die Szene in Deutschland, je nachdem, in welcher Stadt sie sich abspielt, sehr viel diverser ist. In Wien und Berlin hat man aber ein durchaus sehr intellektuelles Publikum, das vielleicht hier in Wien noch eher durch Theorie und bildende Kunst und in Berlin eher durch die Verbindung zum Schauspiel geprägt ist.

STANDARD: Was tut sich gerade im österreichischen Tanz?

Heun: Wir stehen kurz vor einer Zeitenwende. Es gibt ein unheimliches Potenzial bei all den Künstlern, die mit diesem Haus groß geworden sind. Aber ich sehe ein mindestens genauso großes Potenzial in einer Künstlerschaft, die jetzt so um die dreißig ist und schon wieder eine neue Generation formt. Das wird auch eine Anforderung an die hiesigen Fördermodelle geben. In zwei bis drei Jahren wird man einsehen, dass es für diese Szene mehr Geld geben muss, oder es sind hohe künstlerische Einbußen zu erwarten.

STANDARD: Wie stellt sich die Wiener Fördersituationen im Vergleich mit Berlin dar?

Heun: Es gibt in Wien eine Tendenz - ich möchte bewusst nicht Gießkanne sagen -, mehr Produktionen mit weniger Geld zu fördern, als das früher der Fall war. Das führt zu einem größeren Spektrum, aber die Frage ist, wie sich die geförderten Künstler dann entwickeln können. Wien tut wesentlich mehr für ihre Szene als die Stadt Berlin, die ihrer im Verhältnis größeren Szene weniger Möglichkeiten bietet. Auf der anderen Seite sind dort aber mit dem Hauptstadtkulturfonds und der Bundeskulturstiftung noch einmal ganz große nationale Fördertöpfe greifbar.

STANDARD: Sollte sich das österreichische Kulturministerium künftig auch an der Finanzierung des Tanzquartiers Wien beteiligen?

Heun: Mir gegenüber gab es immer die Aussage, dass die Zuständigkeiten im Museumsquartier zwischen Bund und Stadt geregelt sind. Der Bund fördert bei uns gezielt nur Projekte. Wenn ich es im System Tanz betrachte, müsste sich der Bund am Tanzquartier auch strukturell beteiligen, wie bei Impulstanz und dem Brut Theater. Seit der Gründung des Hauses im Jahr 2001 ist der Fördertopf für das Tanzquartier gleich geblieben. Da ist es schon wichtig, dass sich etwas ändert.

STANDARD: Wie geht es jetzt im Tanzquartier weiter?

Heun: Wir gehen von der Idee aus, das Choreografische nicht mehr im Gegensatz zwischen Tanz und Performance zu betrachten. Dabei sind wir über das Thema „Handlungsfähigkeit des Körpers" immer näher an Fragen zum politischen Potenzial des Körpers gerückt. Wie wirkt sich dieses Potenzial im öffentlichen Raum aus und welche performativen Strategien in den Körperinszenierungen wirken dort? Zum Beispiel auf dem Tahrirplatz in Kairo, wo das islamische Gebet als Demonstrationsform eingesetzt und damit das Eingreifen der Sicherheitskräfte verhindert wurde. Da interessiert uns besonders der arabische Raum, wie man ab Freitag auch bei Laila Soliman sehen kann - oder Anfang 2013 in unserem Diskursevent "Scores".

STANDARD: Apropos öffentlicher Raum: Das TQW ist innerhalb des Museumsquartiers immer noch gut versteckt. Soll das so bleiben?

Heun: Das Tanzquartier müsste nach zwölf Jahren nun endlich sein Logo auf der Fassade haben. Darüber diskutiere ich seit drei Jahren. In der bisherigen personellen Konstellation war es nicht möglich. Ich würde das aber gern mit dem jetzigen Leiter der Kunsthalle, Nicolaus Schafhausen, zu lösen versuchen, der sich auch für Performance interessiert.

STANDARD: Wie sehen Sie heute das Verhältnis zwischen Tanz und anderen Kunstformen?

Heun: Ich versuche, den etablierteren Choreografen durch Vernetzung mit Institutionen aus anderen Sparten neue Aktionsfelder zu erschließen. Wie bisher in der Zusammenarbeit etwa mit dem Radio-Symphonieorchester, Wien Modern, dem Schauspielhaus oder dem Museum Leopold. Und mich beschäftigt die Nähe zur bildenden Kunst. Es interessieren mich Kollaborationen wie kürzlich grünwachs ein von Karl Karner und Linda Samaraweerová mit Christian Eisenberger langfristig sehr. Wien bietet da eine Menge, weil es so viele Institutionen gibt, mit denen man kooperieren kann.  (Helmut Ploebst/DER STANDARD, 19. 11. 2012)