Chi (vorne) und Tan Lan (ganz hinten) servieren den Suppentopf Phô Bo (Bild unten) und andere vietnamesische Klassiker ab nun beim Karmelitermarkt.

Foto: Gerhard Wasserbauer
Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass der Naschmarkt seit der fast zeitgleichen Schließung von Phô Saigon und By Chi keine einzige vietnamesische Garküche mehr hat, ist nur eins von zahllosen Symptomen für die unglückliche Entwicklung dieser Lokalmeile, die sich den Markt nur noch als Staffage zu halten scheint.

Die treuherzige Beteuerung des Marktamtes, den Ort im Sinne eines "funktionierenden Branchenmixes" zu managen, kann angesichts dieser Entwicklung - bis hin zur jüngsten Welle an Souvenirstandeln - nur unter Hohn verbucht werde. Außer natürlich, die Amtsträger erhoffen sich den neuen Naschmarkt als Rummelplatz mit Marktanmutung - in Wien (siehe Prater, siehe Rathausplatz) alleweil eine ständig lockende Gefahr.

Der Karmelitermarkt mag werktags zwar auch ein gespenstisches Kulissendorf sein. Aber immerhin gibt es im unmittelbaren Umfeld dieses als Boboreservat gefeierten Viertels nunmehr wahrhaftig einen Vietnamesen - und damit den ersten brauchbaren Asiaten in einer Gegend, die nach landläufiger Wahrnehmung seit Jahren eine einzige Zitronengras-Ödnis sein sollte. Wir erkennen: alles ist relativ, nur der Neid ist mit Sicherheit ein Hund.

Überdurchschnittliche Qualität

Chi und Tan Lan freilich kümmert derlei Zwiderwurzigkeit nicht: Ihnen wurde es am Naschmarkt schlicht zu eng, das Lokal am Ende der Hollandstraße war gerade frei, der Umzug schnell beschlossen. Die Einrichtung hat im Vergleich zum Standl an Charme eingebüßt, dafür sind die Preise höher geworden. Bei den Speisen hingegen wagt sich die Küche einstweilen kaum hinter einfachen Marktstandards hervor. Das ist insofern nachvollziehbar, als deren überdurchschnittliche Qualität den Erfolg begründet hat.

Elastische Reispapierrollen sind mit Kräutern, Sprossen und kühlen Glasnudeln prall gefüllt und in der Version mit Rindfleisch unverändert am Verlockendsten - die Dipsauce mit ihrer Mischung aus Garnelenpaste, Hoisin, Limettensaft und Erdnüssen ist teuflisch effektiv wie je. Frühlingsrollen Nem Cuon zerbersten vor schierem Knusper wie Glas am Gaumen, die beigestellten Kräuter- und Salatblattwickel aber dämpfen den Impact aufs Angenehmste.

Reisnudelsuppe Phô Bo war in den ersten Tagen noch nicht von gewohnter Dichte und Aromentiefe, dafür ist die Garnitur aus dünn geschnittenem Rind, das in der heißen Suppe garziehen darf, hier besonders reichhaltig. Beachtlich wie je: Die kluge, weit über das Erwartbare hinausgehende Auswahl beim Wein. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 23.11.2012)