Wien/Brüssel - Am Dienstag fand der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen den ehemaligen Innenminister und EU-Abgeordneten Ernst Strasser statt. Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftskriminalität und Korruption (WKStA) wirft ihm Bestechlichkeit vor. Es wurden zwei geheim aufgenommene Videos von Treffen von Sunday-Times-Journalisten, die sich als Lobbyisten ausgaben, mit Strasser gezeigt. Oberstaatsanwältin Alexandra Maruna konfrontierte davor den Angeklagten mit Emails, die deutlich machten, dass Strassers Mitarbeiterinnen in dessen Auftrag bei dessen Fraktionskollegen Othmar Karas und Hella Ranner außerordentliches Interesse an der Möglichkeit an den Tag gelegt hatten, noch rechtzeitig einen Abänderungsantrag hinsichtlich einer Anlegerschutz-Richtlinie einzubringen.

Assistentin recherchierte bei Karas und Ranner

Derartige Änderungen hatten sich die als Lobbyisten getarnten britischen Journalisten gewünscht, denen Strasser laut Anklage für ein jährliches Honorar von 100.000 Euro seine Einflussnahme auf die Gesetzgebung im Europäischen Parlament in Aussicht gestellt hatte. Strassers Assistentin hatte daraufhin per Mail bei Mitarbeitern von Karas und Ranner recherchiert, wer für die Behandlung der Richtlinie zuständig war, in welchem Stadium sich die Prüfung der Richtlinie befand und ob "ihr Chef" (Strasser, Anm.) einen Abänderungsantrag einbringen könne.

"Es kann sein, dass ich versucht habe, Informationen über Inhalte, Leute, die Umgebung dieser Leute zu sammeln. Es geht nicht darum, irgendetwas zu veranlassen irgendetwas zu tun, sondern um Informationen einzuholen. Wir haben weder gesagt, dass wir etwas einbringen wollen noch haben wir etwas eingebracht", meinte Strasser dazu.

"Mein Chef muss dringend wissen"

Der für die Richtlinie, die Entschädigungen für Anleger vorsah, fachlich an sich gar nicht zuständige Strasser erfuhr per Mail, man könne "über Ranner jederzeit" einen Abänderungsantrag einbringen. Allerdings musste Strassers Assistentin dann zur Kenntnis nehmen, dass die dafür vorgesehene Frist bereits abgelaufen war. Darauf verschickte Strassers Mitarbeiterin an Ranners Büro ein Mail mit der Passage "Denkst du, dass Ranner noch etwas retten kann?", und eine Mitarbeiterin von Othmar Karas erhielt ein mit "Wichtigkeit Hoch" versehenes Mail folgenden Inhalts: "Mein Chef müsste dringend wissen, ob euer Chef (Karas, Anm.) bereit wäre, einen Abänderungsantrag einzubringen."

Strasser: "Wollte Leute hinhalten"

In weiterer Folge rief Strasser persönlich mehrfach bei der betreffenden Karas-Mitarbeiterin an und machte Druck, was diese äußerst ungewöhnlich fand. "Ich habe mich null eingemischt, in die Entscheidungsfindung", rechtfertigte sich Strasser vor Gericht. Es sei ihm nur darum gegangen, Informationen zu sammeln, um den vermeintlichen englischen Lobbyisten, die Strasser seiner Aussage zufolge als Geheimdienst-Agenten enttarnen wollte, "Futter zu geben". Er habe "diese Leute hinhalten und bei Laune halten" wollen. Im Übrigen sei es "in den letzten 20 Jahren nicht vorgekommen, dass Karas für mich einen Vorschlag umgesetzt hat." 

Videos werden in voller Länge gezeigt

Nach technischen Schwierigkeiten wurden die Videos des zweiten und dritten Treffens der Journalisten von den Gesprächen mit Strasser in voller Länge gezeigt. Strasser spricht im ersten Video, dass in Brüssel aufgenommen wurde, unter anderem vom Faschingsbeginn in Österreich, von Alkoholproblemen in seinem Land und seinen politischen Werdegang. Hier fiel auch der Sager Strassers wonach er Lobbyist sei und von seinen Kunden 100.000 Euro im Jahr bekomme (derStandard.at veröffentlicht laufend die Protokoll der Gespräche in deutscher Übersetzung). 

Strasser unzufrieden mit Übersetzung

Strasser hatte sich nicht ganz zufrieden mit der schriftlichen Übersetzung seiner Aussagen gezeigt. Diskutiert wurde etwa über die Frage, ob die Phrase "you have to influence" das direkte Gegenüber anspricht, oder ob das "you" ganz allgemein "man" bedeuten soll. Auch dass das Wort "Input" mit "Einfluss" auf die Gesetzgebung übersetzt wurde, widerstrebte der Verteidigung. Und mit "when all the things are going up" habe er, Strasser, lediglich gemeint, "wie sich die Dinge entwickeln". Auf ein "Sprachproblem" in Zusammenhang mit der Übersetzung angesprochen, gab Strasser zu: "Ja, das ist sicher schlecht ausgedrückt".

Das zweite Treffen fand im angeblichen Hauptquartier der "Lobbyisten" in London statt. Dabei rühmte sich Strasser etwa mit seinen einstigen berufsbedingten Kontakten zu amerikanischen Geheimdiensten und erklärte in voller Breite, wie nationale und EU-Politik funktionieren. Zudem erteilte er den vermeintlichen Lobbyisten auch noch den Ratschlag, nach Brüssel zu übersiedeln, um "lobbying competence" aufzubauen. Und schließlich wurde der Ex-Minister neugierig, warum gerade er als Kontakt auserkoren wurde: "May I ask you how did you come to me?"

Der Prozess wird am Donnerstag mit der Vorführung weiterer Videos fortgesetzt. (APA/red, derStandard.at, 27.11.2012)