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Günther Platter: "Man darf nicht die Pädagoginnen und Pädagogen in die Verantwortung nehmen, sondern die Politik."

Foto: Christian Forcher/dapd

Tirol will es Südtirol nachmachen. Der Nachbar aus Italien schneidet bei PISA regelmäßig besser ab und liegt bei der Lesekompetenz deutlich vorne. Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) führt die Ergebnisse auf das Schulsystem zurück. In Südtirol werden die Kinder von der ersten bis zur achten Schulstufe in einer gemeinsamen Schule unterrichtet. Diese fordert Platter nun auch in Tirol: "Die Gesamtschule ist keine Frage der Ideologie, sondern eine Frage der Vernunft", sagt er im Interview mit derStandard.at. Mit seiner Forderung steht er in der ÖVP aber fast alleine da. Platter sieht die Blockierer aber nicht nur in seiner Partei, die gesamte Regierung trete auf der Stelle. Als aktuelles Beispiel nennt er die Ganztagsschule, bei der sich SPÖ und ÖVP nicht auf die Finanzierung einigen können. Platter: "Da kann ich nur sagen: Aufhören zu blockieren!"

Warum er dennoch glaubt, dass bereits in fünf Jahren österreichweit die Gesamtschule starten könnte und weshalb seine Forderung nach der Gesamtschule kein Wahlkampfgeplänkel ist, sagt er zu Rosa Winkler-Hermaden.

derStandard.at: Sie vertreten in Ihrer Partei eine Minderheitenposition und fordern eine Gesamtschule. Wie viele Jahre wird es auf Bundesebene dauern, bis es eine Gesamtschule gibt? Drei Jahre, fünf Jahre, zehn Jahre?

Platter: Hier eine Jahreszahl zu nennen, ist schwierig. Ich hoffe, dass es in fünf Jahren machbar ist und dass nach dem Schulversuch in Tirol auch das Umdenken in Österreich kommt. Damit dann in der nächsten Legislaturperiode des Nationalrats die Umsetzung stattfinden kann.

derStandard.at: Was sind für Sie die Vorteile einer Gesamtschule?

Platter: Kinder, die talentiert sind, können gefördert werden. Gleichzeitig können viele mitgenommen werden, die sich schwerer tun. Man muss auf die PISA-Studie und OECD reagieren. Es gibt Stimmen, die sagen, das ist eine falsche Studie, der soll man nicht so viel Aufmerksamkeit widmen. Aber ich nehme das sehr ernst. Ich will, dass ein ordentlicher Schulversuch gemacht wird. Das Thema Gesamtschule muss vorangetrieben werden, damit wir eine Bewertung vornehmen können.

derStandard.at: ÖVP und Gesamtschule, das war lange Zeit ein Widerspruch, in vielen Kreisen immer noch. Warum stellen sich die Vertreter Ihrer Partei dagegen?

Platter: Die Gesamtschule ist keine Frage der Ideologie, sondern eine Frage der Vernunft. Die Gesellschaft ändert sich und die Politik muss Wege einschlagen, die in die Zukunft führen. Deshalb habe ich die Initiative für eine gemeinsame Schule gestartet. Ich will dem Beispiel Südtirol folgen. Wir haben doch eine große Nahebeziehung zu Südtirol. Ich will, dass in Tirol die gemeinsame Schule entwickelt wird. In der Schule muss natürlich eine deutliche Differenzierung stattfinden können.

derStandard.at: Verharrte man in der Bildungspolitik zu lange auf der Stelle?

Platter: Fragen der Bildung sind das Entscheidendste in einem Staat. Hier dürfen nicht immer ewige Diskussionen stattfinden, sondern es müssen Entscheidungen getroffen werden. Das ist bei den Studiengebühren der Fall. Ich bin froh, dass Karlheinz Töchterle einen Schritt weiter gekommen ist, aber es wurde noch nicht das erreicht, was eigentlich notwendig wäre. Das betrifft auch die Themen Gemeinsame Schule und Ganztagsschule. Deshalb: Stillstand in dieser Frage ist falsch. Man darf nicht die Pädagoginnen und Pädagogen in die Verantwortung nehmen, sondern die Politik.

derStandard.at: Wie werden Sie Ihre Parteikollegen überzeugen?

Platter: Die Parteikollegen in Tirol habe ich bereits überzeugt. Wir haben einen einstimmigen Landesparteivorstandsbeschluss. Die Nähe zu Südtirol ist gegeben und die Ergebnisse sind bekannt. Deshalb ist das bei uns in Tirol eigentlich eine ganz klare Angelegenheit.

derStandard.at: Und auf Bundesebene?

Platter: Auf Bundesebene gibt es auch schon einige Befürworter, insbesondere Wirtschaftskammerpräsident Leitl oder auch die Industriellenvereinigung. 

derStandard.at: Wer sind die Blockierer?

Platter: Das betrifft insgesamt die Bundesregierung. In verschiedensten Bereichen wird blockiert. Die SPÖ hat schon wieder irgendwelche steuerlichen Maßnahmen im Bildungsbereich vorgeschlagen. Dass hier ein Veto von der anderen Seite kommt, ist logisch. Da kann ich nur sagen: Aufhören zu blockieren!

derStandard.at: Sie sprechen den Vorschlag des Bundeskanzlers an, der die Ganztagsschule durch eine Erbschaftssteuer finanzieren will.

Platter: Das wurde von der SPÖ in den Ring geworfen, das finde ich einfach falsch, wenn man dadurch die Beschlussfassung in einem zentralen Bereich unmöglich macht. Wenn man wieder Hürden aufbaut, kommt man nicht zum Ziel.

derStandard.at: In Tirol soll die Gesamtschule Ihren Plänen zu Folge 2014 starten. Wie lange wird es auf Bundesebene dauern?

Platter: Um es konkret zu machen: Mein Ziel ist, dass wir jetzt die Vorbereitungen für einen Schulversuch treffen. Ich habe Experten aus allen Bereichen, auch aus den AHS, miteingebunden. Denn es soll ja eine breite Diskussion stattfinden. Der Schulversuch soll 2014 starten. Dann müssen die Ergebnisse bewertet werden und erst danach kommt die Umsetzung. Wir werden die Ergebnisse dem Bund präsentieren. Ich hoffe, dass dann - wir sind ja die ersten in Österreich, die diesen Versuch starten - die noch notwendigen Argumente für eine Bundesinitiative zur Verfügung stehen.

derStandard.at: Im Gespräch ist, den Schulversuch in der Stadt Innsbruck durchzuführen. Halten Sie daran fest?

Platter: Wir müssen das noch mit Experten besprechen, aber es ist sicher eine gute Idee, dass man in Innsbruck startet. Aber ich würde den Schulversuch auch im ländlichen Raum starten, damit man von beiden Bereichen - von Stadt und Land - eine Bewertung erhält.

derStandard.at: Werden die Gymnasien für die Zeit der Projektphase aufgelöst?

Platter: Wir lösen nichts auf, das ist eine wichtige Botschaft. Wir machen einmal den Schulversuch und dann erst stellt sich die Frage, ob man nicht die Gymnasien ebenfalls in eine gemeinsame Schule umfunktioniert. Das werden wir aber beim Schulversuch herausfinden. Deshalb will ich ja diesen Schulversuch haben. Ich bekomme zwei Beurteilungen - von einem Gymnasium und von einer Hauptschule. So kann eine Bewertung in beide Richtungen stattfinden.

derStandard.at: Sie haben mit Ihrer Ankündigung die AHS-Direktoren gegen sich aufgebracht, diese sprechen von einem Irrweg. Werden die AHS-Unterstufen obsolet, wie die Direktoren fürchten?

Platter: Man darf nicht unterschätzen, dass jene, die laut schreien, von der Öffentlichkeit großes Gehör bekommen. Jene, die nichts sagen und meine Pläne durchaus auch befürworten, die kommen in der öffentlichen Debatte weniger vor. Man darf das also nicht überbewerten.

derStandard.at: Sie sprechen immer vom Vorbild Südtirol. Südtirol hat bei PISA vergleichsweise besser abgeschnitten. Die Studienautoren haben herausgefunden, dass die Autonomie der Schulen in Südtirol höher ist als in Tirol. Das macht sich zum Beispiel bei der Lehrer-Fort- und weiterbildung bemerkbar. Hier kann flexibler auf Bedürfnisse reagiert werden. Soll sich hier was ändern?

Platter: Ich bin für Autonomie an den Schulen, man soll die Lehrerinnen und Lehrer maximal unterstützen, damit sie gemeinsam mit den Eltern und Schülern autonome Entscheidungen treffen können. Ich finde das auch sehr vernünftig. Aber es geht ja um mehr beim Südtiroler Modell, es gibt mehrere Vorteile.

derStandard.at: Was sind die Vorteile?

Platter: Das System trennt erst nach acht Jahren, man muss die Entscheidung, in welche Schule das Kind geht nicht schon mit neun oder zehn Jahren treffen. Das Südtiroler System legt mehr Wert auf das Aufholen von Lernrückständen. Jenen, die sich schwer tun, wird individuell geholfen, damit die Lernrückstände aufgeholt werden.

Zum weiteren gibt es in diesem Modell eine Begabten- und Begabungsförderung, es wird auf Individualisierung gesetzt.

derStandard.at: Man braucht für eine Gesamtschule mehr Lehrpersonal. Woher soll das Geld für die zusätzlichen Lehrer und Lehrerinnen kommen?

Platter: Ja, hier müssen wir noch einen Schritt weiterkommen. Ich will mir das beim Schulversuch genau anschauen. In Tirol sind wir sehr sparsam unterwegs, damit wir investieren können. Die Investitionen müssen in die Bildung fließen. Das wird sich mittel- und langfristig für den Staat bezahlt machen. Deshalb will ich mir in Tirol einige Modelle überlegen, wie wir zu einer zusätzlichen Finanzierung für Lehrer kommen können, damit wir diese Individualisierung in den Schulen, in den Klassen machen können.

derStandard.at: Wie könnte so ein Finanzierungsmodell aussehen?

Platter: Das muss mit dem Bund erarbeitet werden. Jetzt gehen wir einmal Schritt für Schritt vor. Jetzt müssen wir einmal den Schulversuch machen.

derStandard.at: Der Bund muss mit dem Land verhandeln. Bei den Kindergärten kommen auch noch die Gemeinden dazu. Das Schulsystem ist, was das betrifft, sehr kompliziert. Sind Sie für klarere Regeln in diesem Kompetenzen-Wirrwarr?

Platter: Ich will nicht, dass die inhaltliche Debatte von Verwaltungsdebatten überlagert wird. Das gehört auch dazu. Aber entscheidender sind die inhaltlichen Bereiche. 

derStandard.at: Sie haben ja schon gesagt, Sie können sich die Schulen in Länderkompetenz vorstellen.

Platter: Ja, das kann ich mir durchaus vorstellen. Es ist sicher möglich, dass die gesamte Lehrerverwaltung in Landeshand ist, dass wir die Bundeslehrer mitverwalten. Ich glaube, das ist eine sinnvolle Angelegenheit, aber sie steht nicht im Vordergrund.

derStandard.at: Derzeit wird auch die Ganztagsschule heiß diskutiert. SPÖ und ÖVP ringen um eine Einigung. Sie wollen die Ganztagsschule genauso wie die Gesamtschule ausweiten. Soll die Ganztagsschule eine verschränkte Schule sein?

Platter: Es soll beides sein, es soll Ganztagsschulen geben, wo sich Unterricht und Freizeit abwechseln. Aber es muss auch Schulen mit flexibler Ganztagsbetreuung geben. Da geht es darum, dass sie nicht verpflichtend ist. Denn wenn ein Elternteil zuhause ist, soll es möglich sein, dass die Kinder zu Mittag nachhause gehen. Wo Betreuungsbedarf vorhanden ist, soll es schulische Betreuung geben. Ich will beide Bereiche haben, damit es nicht zu einer Verpflichtung kommt.

derStandard.at: Ist Ihr Schwenk zur Gesamtschule ein Vorzeichen auf die kommende Landtagswahl in Tirol. Ist es Torschlusspanik, wie ein AHS-Gewerkschafter in Tirol gesagt hat?

Platter: Ich fordere seit Jahren Reformen im Bildungsbereich. In der aktuellen Funktion als Vorsitzender der Landeshauptleute-Konferenz ist nur das Echo lauter. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 28.11.2012)