Im Mai fand während der Berlin Biennale der erste Kongress des 'Jewish Renaissance Movement in Poland' statt. In Wien reinszeniert Bartana das Setting und bietet es als Diskursfläche an.

Foto: Ilya Rabinovich - Courtesy Annet Gelink Gallery, Amsterdam und Sommer Contemporary Art, Tel Aviv

Yael Bartana wurde 1970 in Afula, Israel, geboren. Ihre Großeltern wanderten als überzeugte Zionisten in den 1930er-Jahren aus Polen aus. Sie lebt in Berlin.

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Wien - "Juden in aller Welt, bitte kehrt zurück, wenn ihr wollt." 1990 versuchten zwei Künstler (Rudolf Herz und Thomas Lehnerer), diese Botschaft auf der Münchner Feldherrenhalle anzubringen, einem Ort, der Nationalsozialisten als Kultstätte galt. Ohne Erfolg. Kunst, die nicht Konsens herstellt, sondern Auseinandersetzung verlangt, ist stets problematisch. Heute erinnert das Schild in einem Museum an das Scheitern.

Die israelische Künstlerin Yael Bartana hat die Aufforderung "Kommt zurück in euer Land!" hingegen in eine filmische Fiktion verpackt. Slawomir Sierakowski, linker polnischer Kritiker, gibt in der Filmtrilogie "... and Europe Will Be Stunned" den Führer des "Jewish Renaissance Movement in Poland", kurz JRMiP.

Die 2011 auf der Biennale Venedig im polnischen Pavillon präsentierte provokante Utopie spielt mit ambivalenter Propagandasymbolik - zionistisch, kommunistisch, nationalsozialistisch - und löst daher nicht nur behagliche Gefühle aus. Mit der "wahnsinnigen" Idee einer zurück nach Europa kehrenden jüdische Diaspora will Bartana auch die Wunden eines Traumas öffnen und eine Diskussionsgrundlage geben. "Ich denke, die Politik hat ihre Vorstellungskraft verloren. Meine Rolle als Künstlerin ist es, die Imagination zu öffnen, um Geschichte und Zukunft zu überdenken."

War die Trilogie Bartanas noch Fiktion, so griff der erste Kongress des JRMiP während der Berlin Biennale 2012 bereits in die Realität hinein. Rund um die Frage "Wie sollte die EU sich ändern, um den Anderen willkommen zu heißen?" berieten Wissenschafter, Künstler und Intellektuelle die Agenda der Bewegung. In der Secession, wo leider die Filmtrilogie nicht mehr zu sehen sein wird, reinszeniert Bartana nun das Setting des Kongresses. "Ein düsteres, bühnenhaftes Setting in Rot, Schwarz und Weiß in dem aus einer Ecke, wie Weihrauch im Tempel, Nebel quillt. "Wenn ihr wollt, ist es kein Traum", beschwört eine Neon-Schrift die Kraft des Kollektivs und Bartana selbst sagt: "Willkommen im Tempel der Utopie": Es ist eine Bühne, aufgespannt zwischen den Wiener Instanzen Sigmund Freud und Theodor Herzl: "Können wir den Traum weiterhin leben?", lautet eine der Fragen, die im Rahmen einer Performance (Do., 6.12., 20.15; Fr., 7.12., 17.00) an die Begründer der Psychoanalyse und des Zionismus gerichtet werden. Eine Art Séance ohne Medium.

Standard: Sie sagten, mit der Trilogie untersuchen Sie auch Ihr Verhältnis zu Israel und der Politik im andauernden Nahostkonflikt.

Bartana: Ja. Es geht um die mögliche Koexistenz von Israelis und Palästinensern und die Reflexion der jüdischen Hegemonie in Israel. Wir sind in der Mehrheit, halten die Kontrolle, definieren das Verhältnis zu den Palästinensern. In Europa, egal wo, sind wir in der Minderheit, beanspruchen aber gleiche Rechte. Das wird jedoch nie in Zusammenhang gebracht, wenn es um die Anerkennung der Menschenrechte in Palästina geht. Ich verstehe einfach nicht, dass man so blind sein kann. Wenn ein israelischer Intellektueller Israels Politik kritisiert, wird ihm sofort Antisemitismus unterstellt.

Standard: Sie leben seit 15 Jahren nicht mehr in Israel. Erleichtert das die Kritik?

Bartana: Es gibt mir insbesondere die Distanz, um bestimmte Vorgänge zu erkennen.

Standard: 2006 besuchten Sie Polen, wo die Idee zu Ihrer Utopie Gestalt annahm. Welche Erfahrungen machten Sie dort?

Bartana: In Utopien kann man auf eine Art und Weise Scheitern vorhersehen. Es geht um das Neudenken von Geschichte und die Idee, an den Ort des Verbrechens zurückzukehren. Psychologisch betrachtet muss man nach Polen zurückkehren, um Erlösung zu finden. Meine Konfrontation mit der Leere löste starke Emotionen aus. Zu wissen, dass dort 3,3 Millionen Juden lebten, aber die jüdische Gemeinschaft nur mehr eine Leerstelle ist. Es war wie der Anfang von Claude Lanzmanns Film "Shoah": Ein Holocaust-Überlebender kehrt nach Polen zurück und dort, wo einst ein KZ stand, zeigt die Kamera eine grüne Wiese. Ich wollte auch meinen eigenen Blick auf Polen zurück auf Null stellen. Ich wollte in Polen nicht mehr nur eine antisemitische Nation sehen, die an der Vernichtung der jüdischen Gemeinschaft beteiligt war, wo Menschen abgeschlachtet, getötet und verbrannt wurden. Daher habe ich auch Leute getroffen, die mehr so wie ich sind, liberaler, offener, politisch links stehend, Menschen aus der Kultur- und Kunstszene. Durch sie wollte ich eine optimistischere Vision von Polen schaffen, die eventuell auch über Israel nachdenkt. Es war also von Anfang an ein utopisches Projekt.

Standard: Sie spielen mit konträren politischen Symbolen. Charles Esche, Direktor des Van Abbemuseums in Eindhoven, der ihre Trilogie heuer zeigte, sagte, ihre Filme seien irgendwo zwischen Leni Riefenstahl und Andrej Tarkowski. Haben Sie sich tatsächlich mit deren Arbeiten beschäftigt?

Bartana: Ich bin mir dieser Filme sehr bewusst. Ich mag die Doppelzüngigkeit. Ich liebe den Widerspruch, den Dinge in sich tragen können. Jedes Symbol trägt eine Dichotomie in sich. Zum Beispiel: Ich denke viel über Patriotismus nach. Der wird aber immer dem rechten Flügel zugerechnet. Ich hätte aber gerne einen linken Patriotismus. Kann ich eine linke Patriotin sein? In unserer Gesellschaft ist das vermutlich nicht möglich; ich weiß es nicht wirklich. Können in Israel lebende Kritiker ihres Landes nicht auch Patrioten sein?

Standard: Fördert der im Betrachter ausgelöste Zwiespalt einen produktiven Geisteszustand?

Bartana: Ja, es hält dich wach, fordert dich zum Denken heraus. Du musst dich entscheiden, wie du zum Thema stehst. Es verlangt dem Publikum Aktivität ab. Der Film lässt dich nicht im Zustand der Hypnose oder Ergebenheit, weil ich sehr deutlich mache, dass ich mit ihm manipuliere. Es ist für mich eine Möglichkeit, zu provozieren, und zeigt auch auf eine sehr ehrliche Art die große Enttäuschung über politische Mechanismen.

Standard: War der Kongress in Berlin nun Performance oder Realität?

Bartana: Die Hauptidee für den Kongress war, eine Plattform für den kommunikativen Austausch zu kreiieren. Das hat mich wirklich motiviert. Ich ermutigte die Redner, ihre Vorstellungskraft für reale politische Ideen zu nutzen. Die interessanten Momente sind jene, wenn Realität Fiktion wird und Fiktion Realität. Was passiert wenn die Elemente sich verschieben.

Standard: Die Delegierten brachten interessante Vorschläge für die Agenda des JMRiP ein. Etwa, dass die Profite des so genannten Holocaust-Tourismus genutzt werden sollten, um Länder, die einst westliche Kolonien waren, aber auch Palästina, zu rehabilitieren. Anderes fand ich eher befremdlich, wurde aber dennoch von einer deutlichen Mehrheit befürwortet. Etwa, dass die Juden, die aus Israel eher nur Wüsten kennen, im polnischen Waldgebiet siedeln sollten. Oder, dass man die EU so weit expandieren sollte, bis auch China dazugehört. Wie gehen Sie mit solchen Vorschlägen um?

Bartana: Viele der Forderungen sind sehr problematisch. Es sind natürlich nicht alles meine Forderungen, daher liegt es außerhalb meiner direkten Verantwortung. Es ist das erste Mal, dass ich versuche, die Kontrolle auf eine Art und Weise abzugeben: "Ich habe die Filme gemacht, habe Euch ermutigt, nun seid ihr dran Vorschläge zu machen." Es ist wirkliche eine schwierige Aufgabe, politisch zu denken, sich also zu überlegen, welche Dinge einen Wandel hervorrufen könnten, wie man sozialen Wandel initiieren kann. Der Vorschlag der Expansion der EU bis nach China ist eine gefährliche Forderung. In meiner Interpretation ist das Kolonialismus, Imperialismus. Trotzdem wollte ich den Vorschlag behalten, denn er führt das europäische Denken vor, sich noch als DAS Europa zu sehen. - Einige Vorschläge wurden editiert oder rausgenommen. Ansonsten wäre es mir peinlich gewesen.

Standard: Und was wäre nach dem Kongress der nächste Schritt für die Bewegung?

Bartana: Wir haben nun eine Agenda, die zeigt, woran wir als Bewegung glauben. Ich würde es begrüßen, wenn die Leute sich nun einen Punkt der Agenda aussuchen und einverleiben, also beginnen, das im Alltag umzusetzen. Wenn ein Vorschlag, etwa jener über die Profite des "Holocaust-Tourismus", auf einer höheren oder effektiveren Ebene diskutiert würde, wäre das erstaunlich.

Standard: In Wien integrieren Sie nun Theodor Herzl und Sigmund Freud in die Installation. Zwei Jahre lebten beide gleichzeitig in der Berggasse, trafen sich aber nie. Wieso sorgen Sie nun in der Secession für eine Begegnung post mortem?

Bartana: Ich wollte die Perspektive ändern, zurück nach Europa gehen und Europas Beziehung zum Nahen Osten betrachten. Genau genommen begann es hier in Wien. Theodor Herzl, Begründer des Zionismus lebte hier. Aber auch Sigmund Freud, Vater der Psychoanalyse. Sie symbolisieren auf einem bestimmen Level beide den Modernismus. Sie haben eine ähnliche Geschichte, aber einen völligen anderen Zugang dazu. Ich finde es faszinierend, dass die sich niemals getroffen haben. Freud hatte null Interesse an einem jüdischen Staat in Israel. Er wollte niemals dort hin. Er sagte, physisch könne er gehen, aber psychisch nicht. Herzl war häufig in Israel. Beide versprachen Erlösung. Herzl wollte Erlösung für den Einzelnen, Freud für das Kollektiv. Erlösung ist ein sehr wichtiges Element. Der Kongress ist, wenn man so will, eine große kollektive Psychotherapie. Wo trifft man sonst gleichzeiig israelische, palästinensische und europäische Menschen, die die Welt in Ordnung bringen wollen, in dem sie sie verändern.

Standard: Besitzt Ihre Installation in der Secession auch auffordernden Charakter? „Tu was!" Oder ist sie eher eine skulpturale Dokumentation dessen, was in Berlin geschah?

Bartana: Sie ist beides. Es ist so, als würde man einen Moment in der Geschichte der Bewegung zusammenfassen. Aber ich stelle auch eine Plattform zur Verfügung. Willkommen sind Leute, die dort über die Geschichte dieses Landes diskutieren wollen. Die Secession sollte ein Ort für Menschen sein, nicht für die Kunst. Das ist doch langweilig. Wenn Leute deswegen kommen, wäre das interessant. Mehr kann ich mir nicht wünschen. (Anne Katrin Feßler, Langfassung, DER STANDARD, 6.12.2012)