Für die Studienkollegen ist ein Leben b.g. (before google) nahezu undenkbar.

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Tanja Paar ist nach 20 Jahren an die Uni zurückgekehrt.

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Der Bursche vor mir im Hörsaal könnte mein Sohn sein. Während die Vorlesung beginnt, klappt er seinen Laptop auf und macht seinen Wochenstundenplan auf seinem digitalen Kalender. Daneben ist er im Facebook-Chat, spielt "Dota 2" und lädt sich Wineskin herunter. Ob er irgendetwas von dem mitbekommt, was im Hörsaal vorgetragen wird, wage ich zu bezweifeln. Warum ist er überhaupt her gekommen, wenn er so offensichtlich nicht zuhören will? Aber vielleicht liege ich da ja völlig falsch und die digital natives sind einfach derart multitasking, wie ich mir das überhaupt nicht vorstellen kann.

Ich jedenfalls bin sehr glücklich, mich 90 Minuten lang einer einzigen Sache widmen zu können, ohne ständig unterbrochen zu werden. Nicht wie im Büro, wo abwechselnd Handy oder Festnetz läuten, Kollegen eine Frage haben, E-Mails rein rauschen oder gerade die nächste Sitzung beginnt, während die Vorgesetzten zu einem spontanen Brainstorming aufrufen. Ich höre zu. Ich mache mir Notizen. Auf Papier. So lerne ich besser. Aber das nur aus Gewohnheit.

Alles, was hier vorgetragen wird, ist über eine digitale Lernplattform der Universität auch via E-Learning zugänglich. Sogar ergänzende Materialien wie Prüfungsfragen und deren Lösungen werden zur Verfügung gestellt. Die meisten der Studierenden nützen dies in Kombination mit einem guten, alten Papierskriptum, das zum Selbstkostenpreis von rund 15 Euro im Studien Service Center Informatik käuflich zu erwerben ist. Die einzige Schwierigkeit ist, dass das zu Mittag zusperrt - man muss also vor 12 aufstehen. Aber das ist für die fleißigen Studenten heutzutage ja kein Problem.

Ich habe meinen ersten Rechner zum Schreiben meiner Diplomarbeit eingesetzt. Es war in den 90er-Jahren, es war ein Apple und er war nicht weiß. Sehr schwer vorstellbar das alles für die jungen Menschen, für die ein Leben b.g. (before google) nahezu undenkbar ist. Wie konnte man sich verabreden und koordinieren ohne Handy und Rechner? Heute tauscht man E-Mailadressen und Handynummer aus, um sich für das gemeinsame Referat vorzubereiten.

Zehn Minuten haben die Studierenden in der Übung Zeit, sich in Dreier- und Viererteams zu gruppieren und auf einen Präsentationstermin zu einigen. Kein leichtes Unterfangen, wenn man keinen Menschen kennt. Egal, genau darum geht es, wie der Vortragende betont. Es wird in Zukunft essenziell wichtig sein, im Team und auch zwischen den Disziplinen kommunizieren zu können, weil die Fragestellungen zu komplex werden, um sie allein zu lösen. Deswegen wird das an der Uni geübt, hier an der Informatik jedenfalls. Da sag noch einer, dass diese Nerds den Mund nicht aufbringen!

Vier Fremde müssen sich einen englischen Primärtext über "artificial intelligence" aufteilen, ihn bearbeiten und gemeinsam präsentieren. Vortragssprache ist Englisch oder Deutsch, Einzelkämpfertum nicht gefragt. Dies erscheint mir eine sinnvolle Vorbereitung auf eine Zukunft, in der kreative Lösungen im Team gefunden werden müssen. Mal sehen, wie wir das meistern. (Tanja Paar, derStandard.at, 6.12.2012)