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"Wenn in einer Volkswirtschaft Studiengebühren von null oder nahe null aufrechterhalten werden sollen, muss wegen der fehlenden Möglichkeit einer 'marktwirtschaftlichen Dynamik' beim Angebot, das heißt also, bei den bereitgestellten Kapazitäten angesetzt werden."

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Wolfgang Weigel über die "Quadratur des Kreises".

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Der häufig geäußerte Wunsch nach freiem Hochschulzugang und nach gleichzeitiger Senkung der Studiengebühren auf Null hat etwas von der berühmten Quadratur des Kreises.

Warum das so ist und ob diese je gelingen kann, dazu folgen einige Gedanken. Sie bauen auf Angebot und Nachfrage von Studien im Falle der Universitäten auf. Es ist eine ökonomische Tatsache, dass die größtmögliche Nachfrage nach einem Gut oder einer Dienstleistung dann erreicht wird, wenn der Preis dafür null ist. Denn bei jedem positiven Preis muss sich eine Person fragen, ob ihr die Inanspruchnahme der Leistung den unvermeidlichen Verzicht auf andere Dinge wert ist.

Nun kann eine Ausbildung an der Universität prinzipiell zum Preis von null bereitgestellt beziehungsweise angeboten werden, aber es braucht dann ein alternatives Finanzierungsmodell, zum Beispiel und am häufigsten - da am einfachsten und vielleicht auch am gerechtesten - über allgemeine Steuern.

Finanzierung über Steuern

Es gab und gibt selbstverständlich zumindest zwei ernsthafte Gründe, warum die Finanzierung des Universitätsstudiums über Steuern nicht unsinnig ist. Der erste Grund liegt in der - nicht nur durch die Wirtschaftstheorie und theoretische Wirtschaftspolitik gestützten - Überlegung, dass eine gediegene universitäre Ausbildung nicht nur den AbsolventInnen, sondern auch der Gesellschaft zugutekommt. Der zweite Grund ist der, dass auf diese Weise Begabungen nicht wegen schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse ausgeschlossen werden (was natürlich im Grunde auch durch ein gutes, auf sozialen Kriterien fußendes Stipendienwesen erreicht werden könnte).

Es ist nun aber eine Tatsache, dass Universitäten - mit und ohne die beispielsweise im österreichischen Universitätsgesetz 2002 eingeführte "Autonomie" - "öffentliche" Einrichtungen mit öffentlich wahrzunehmenden Aufgaben sind, die der Planung unterliegen: Verbesserungen und Ausweitungen der universitären Kapazität hätten ja zur Folge, dass bei beschränkten budgetären Mitteln andere Bereiche der öffentlichen Leistungen eingeschränkt werden müssten - und die Begrenztheit der Steuerbelastungen und die Problematik von Schuldenfinanzierung lassen hier wenig Spielraum zu.

Private Dienstleister

Was wäre denn anders, wenn Universitäten rein private Dienstleister wären? Diesen gedanklichen Umweg muss man machen, um einen ganz zentralen Punkt von Nachfrage und Angebot herauszuarbeiten. Nun, private Universitäten könnten schwerlich ohne Preise für die erbrachten Leistungen auskommen (von dem unwahrscheinlichen Fall eines benevolenten und entsprechend vermögenden Mäzens einmal abgesehen).

Wenn aber dann die Nachfrage nach universitärer Ausbildung hoch genug wäre, könnte es für Initiatoren (und Investoren) reizvoll erscheinen, weitere Universitäten zu gründen, sofern damit gerechnet werden kann, dass erstere wenigstens auf ihre Kosten kommen (wenn letztere schon keine Gewinne abwerfen).

Unser traditionelles österreichisches Verständnis vom "Wesen" einer Universität schließt solche Marktmechanismen in der Regel aus. Es muss hinzugefügt werden, dass es auch da vereinzelt Ausnahmen gibt, welche aber als Modell für die generelle Ermöglichung einer universitären Ausbildung in Österreich nicht geeignet erscheinen, vor allem nicht unter der Prämisse des freien Hochschulzuganges in einer möglichst nur über Steuern finanzierten Universitätslandschaft.

Druck steigt

Die Anpassung der Universitäten an die nachgefragte Kapazität erhöht den Druck auf Planer und Universitätsleitungen umso mehr, je mehr man sich zu einem Hochschulzugang zum Nulltarif bekennt. 

Nun ist ganz klar, muss aber der Vollständigkeit wegen an dieser Stelle betont werden, dass es eine Vielzahl von Studienangeboten gibt, nach welchen wiederum jeweils sehr unterschiedliche Nachfrage besteht. Was im Folgenden grundsätzlich gesagt wird, bedürfte im Detail einer Differenzierung, für die hier zu wenig Raum ist. 

Wenn in einer Volkswirtschaft Studiengebühren von null oder nahe null aufrechterhalten werden sollen, muss wegen der fehlenden Möglichkeit einer "marktwirtschaftlichen Dynamik" beim Angebot, das heißt also, bei den bereitgestellten Kapazitäten angesetzt werden. Das Diktat der beschränkten öffentlichen Mittel wird auch durch den Zuruf, dass es ja so viele Bereiche gebe, in denen eingespart werden könne, nicht ausgehebelt! 

Einbruch in Qualität

Studienplatzbewirtschaftung ist eine Folge der Tatsache, dass die Quadratur des Kreises unter den gegebenen Umständen nicht gelingen kann. Ohne Studienplatzbewirtschaftung, also ohne Zugangsbeschränkungen wenigstens für bestimmte Studienrichtungen, geschieht nämlich etwas, das in kürzester Zeit zu ebenso heftigen Reaktionen der Nachfrageseite führen kann wie die Bewirtschaftung selbst: ein Einbruch in der Qualität des Angebots, durchaus dem mangelnden Wohlbefinden in einem überfüllten Schnellzug vergleichbar. 

Was daran betrüblich ist, das ist nicht nur die zwangsläufige Verdrängung von Studienwilligen. Bei diesen muss es sich aber nicht automatisch um die am wenigsten Qualifizierten, geschweige denn die am wenigsten Motivierten handeln. Es kommt ja auf die Auswahlkriterien an. Wenn es nur darum ginge, Studierenden mit einem guten Notendurchschnitt die wissenschaftliche Berufsvorbildung in einem bestimmten Fach zu eröffnen, dann läuft das durchaus einigen Wesenszügen der Universität zuwider! 

Selektion

Denn Universitäten sind der Idee nach nicht nur Produktionsstätten für die wissenschaftliche Berufsvorbildung, möglichst in kürzester Zeit. Aber die Notwendigkeit der Selektion, wie sie durch Kapazitätsengpässe diktiert wird, würde die Universitäten wohl auf solche Studierende setzen lassen, von denen sie erwarten können, dass sie in der Regelzeit abschließen, um möglichst bald neuen KandidatInnen Platz zu machen. 

Multi-Talente

Was geschieht aber mit Multi-Talenten, welche erst ausprobieren müssen, was sie am besten tun, oder gar ihr Talent ausleben und mehrere Studien studieren - mit absehbaren Konsequenzen für die Kapazität? Was geschieht mit jenen, welche ihrer Sehnsucht nach Bildung folgen und eigentlich den "Konsum von Hochkultur" anstreben, was alles andere als verwerflich ist? Es ist ja unter anderem ein Merkmal aufgeweckter Senioren, spät (oder noch einmal) an die Universität (zurück) zu gehen; und Lifelong Learning wird ja völlig zu Recht propagiert. Die Konsequenz solcher Erwägungen ist, dass viele Interessen (und InteressentInnen) den Beschränkungen geopfert werden müssen oder aber dass es gilt, sich der fast unlösbaren Aufgabe von Kontingentierungen zu stellen.

Auswahl der Studierenden

Ungeachtet dieser Argumente für einen (möglichst) freien Zugang zu den Universitäten bedürfen noch zwei Gesichtspunkte der Erwähnung: Es ist für die Gestaltung des Angebots sicher nicht unproblematisch, wenn eine Person, die im Prinzip die Universitätsreife besitzt, nicht abgewiesen werden kann, wie das ja beim freien Universitätszugang der Fall ist. So etwas nennt man "Kontrahierungszwang". Es gibt viele maßgebliche Personen an Universitäten, welche es vorziehen würden, die Studierenden ihren Talenten nach "auszuwählen".

Weltweit agierende Dienstleister

Ein besonderer Fall sind schließlich Studierende aus dem Ausland. Kontingente solcher Studierender sind im Rahmen internationaler Austauschprogramme automatisch verankert; aber nicht zuletzt die vom Europäischen Gerichtshof gestützte Zugangsfreiheit der österreichischen Universitäten erzeugt ein Knappheitsproblem beim Angebot, also bei den Studienplätzen, das ökonomisch überhaupt nicht zu rechtfertigen ist. Österreichische Universitäten können nicht als weltweit agierende Dienstleister eingestuft werden. Sie sind vielmehr lokale oder regionale öffentliche Einrichtungen, was wohl auch den Granden in der Europäischen Union von ihren finanzwissenschaftlich geschulten Beratern einfach zu erklären wäre.

Ausbau des Stipendienwesens

Die Konsequenz aus diesen splitterhaften Überlegungen ist: Die Erhaltung der Eigenheiten der Universitäten bei gleichzeitiger Unterstützung ihrer (ohnehin eingeschränkten) Flexibilität wird durch das Diktat der Studienplatzbewirtschaftung mehr und negativer beeinträchtigt als durch ein Modell mit einem Mix aus Studiengebühren, größerer Liberalität auf der Angebotsseite und einem entsprechenden Ausbau des Stipendienwesens. Schwer vorstellbar, dass sich die Weichen künftiger Universitätspolitik in eine andere Richtung stellen lassen. (Wolfgang Weigel, derStandard.at, 11.12.2012)