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"Hier bewegt sich nichts, weil niemand will, dass sich was bewegt": Protestaktion der Freien vor dem ORF-Stiftungsrat im Jänner. Eine Anhörung bei der Finanzsitzung an diesem Donnerstag ist nicht vorgesehen.

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Barbara Kaufmann: "Kann die Floskeln nicht mehr hören ..."

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Ich arbeite gerne. Ich liebe meinen Job. Ich mag auch schöne Schuhe, Sachertorten und Seenlandschaften bei Sonnenuntergang. Aber wenn Sie mich richtig glücklich machen wollen, geben Sie mir ein Mikrofon in die eine Hand und ein Aufnahmegerät in die andere und lassen Sie mich meine Arbeit machen ...

Es ist inzwischen zweieinhalb Jahre her, dass ich durch eine Verkettung von glücklichen Zufällen meinen Traumberuf gefunden habe. Nach einem Kommentar im STANDARD, den die richtigen Leute an der richtigen Stelle gelesen und für interessant befunden hatten, wurde ich eingeladen, einen Radiobeitrag für Ö1 zu gestalten. Nach dem ersten Studiotermin war mir klar: Ich war gekommen, um zu bleiben. Die Arbeit beim Radio vereint alles, was ich gerne mache: recherchieren, schreiben, kommunizieren, etwas erzählen, aufklären. Ö1 ist journalistisch betrachtet eine Ausnahmeerscheinung. Ein Arbeitsplatz, an dem nicht primär die Quote zählt, sondern die gesellschaftliche Relevanz eines Themas, und Journalismus mit Haltung im Vordergrund steht. Ein Paradies für Herzblut-Journalisten.

Irgendwann im ersten Jahr habe ich dann aber bemerkt: Das geht sich nicht aus. Man kann nicht zehn qualitativ hochwertige ausrecherchierte Beiträge à drei Interviews und 20 Stunden Literaturstudium Minimum pro Beitrag im Monat produzieren. Das müsste man aber, wenn man circa 3000 Euro brutto verdienen möchte. Man schafft höchstens vier. Und das auch nur, wenn man an Wochenenden arbeitet und in der Nacht. Da ist man dann am Monatsende bei 1200 Euro brutto. Und fertig. Erschöpft, ausgelaugt. Bereitet aber bereits die nächste Geschichte vor, liest sich ins übernächste Wissenschafts- oder Politthema ein. Oder steckt schon mitten in den Vorarbeiten für die kommende Sozialreportage.

Überlebens-Bedingungen

In den Rauchpausen oder beim Kaffeeautomaten frühmorgens, am Wochenende oder während der Nächte im Funkhaus habe ich immer dieselben Gesichter gesehen. Freie Mitarbeiter/-innen wie ich. Großteils Frauen. Alle zwischen 30 und 45 Jahre alt. Müde, ausgelaugt, erschöpft, aber voller Begeisterung für die Geschichten, an denen sie gerade arbeiteten. Irgendwann haben wir über Geld gesprochen. Über Lebensbedingungen, nein, eigentlich sollte es heißen: Überlebens-Bedingungen. Und sehr schnell habe ich realisiert: Den anderen geht es genauso wie mir. Und so haben wir beschlossen, uns zusammenzutun und zu kämpfen: für höhere Honorare, für bessere Arbeitsbedingungen, für eine Zukunft als Qualitätsjournalisten, die einen Großteil des Public Value des öffentlich-rechtlichen Rundfunks produzieren.

Im Jänner 2012 stellte sich dann eine Gruppe freier ORF-Mitarbeiter/-innen vor den Stiftungsrat des Unternehmens. Ausgestattet mit einem Teller voller Kuchenbrösel und Fähnchen, die fragten: Was bleibt für die Freien? Das ist nun fast ein Jahr her. Und nichts hat sich an ihrer Situation verändert. Denn derjenige, der etwas ändern könnte, hat uns zehn Monate nicht empfangen. Und diejenigen, die uns empfangen haben, konnten nichts ändern.

Also haben wir weitergemacht, mussten wir weitermachen. Wir haben offene Briefe geschrieben, Transparente beklebt, T-Shirts gedruckt. Alles neben der Arbeitszeit. Aus einer 80-Stunden-Woche wurde eine 100-Stunden-Woche. Jede freie Minute nutzten wir zum Studium der Kollektivverträge, des Honorarkatalogs, der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Ich weiß nicht mehr, wie viele Kaffees allein ich mit Sendungsverantwortlichen, Programmmachern und Buchhaltern getrunken habe, um mir detailliert anzuhören, warum man leider exakt nichts für uns tun könne. Bei wie vielen "Verhandlungsrunden" ich bestens vorbereitet mit auswendig gelernten Zahlen, Daten, Fakten gesessen bin, nur um zu bemerken: Hier bewegt sich nichts. Weil niemand will, dass sich etwas bewegt.

Jetzt liegt endlich ein Angebot der Geschäftsführung auf dem Tisch. Und es ist lächerlich. Es ist gar nichts. Es würde bedeuten, dass wir circa 30 bis 60 Euro brutto mehr im Monat verdienen. Bei gleichbleibend schlechten Konditionen: keine Sozialversicherung, kein bezahlter Krankenstand, kein Urlaub. Die Frauenförderung für das kommende Jahr wurde mit einer Million Euro budgetiert. Aber für die freien Mitarbeiter/-innen, die zu rund 85 Prozent weiblich sind, wurde ein Bruchteil dessen bereitgestellt. Der Stiftungsrat, der uns nicht empfängt, wird dieses Budget am Donnerstag absegnen. Und wir können nichts dagegen tun.

Floskeln und leere Versprechungen

Ich möchte einfach nur arbeiten, denn ich liebe diesen Job. Ich will nichts werden, ich habe keine Ambitionen auf irgendeine Position. Nichts würde mich unglücklicher machen als ein fantastisch bezahlter Verwaltungsposten, der bedeuten würde, dass ich weg wäre von den Menschen, von den direkten Gesprächen mit Betroffenen, vom journalistischen Tagesgeschäft. Da unterscheide ich mich nicht von meinen Mitstreitern und zahlreichen Mitstreiterinnen.

Aber ich kann nicht mehr. Ich bin müde. Sehr müde. Ich kann die Floskeln und die leeren Versprechungen nicht mehr hören. Ebenso wenig wie die Vorwürfe der Verantwortlichen, wir würden das Unternehmen schädigen durch unseren öffentlichen Protest. Ich glaube, Sie werden nirgends hingebungsvollere und idealistischere ORF MitarbeiterInnen finden als unter den Freien in der Ö1-, FM4- und TV-Kultur. Niemand von uns will den ORF schlecht machen. Aber es ist schwierig, ein Unternehmen zu loben, das einen nicht wertschätzt, obwohl man wertvolle Arbeit leistet. Auf Kosten der eigenen Gesundheit, des Privatlebens und der Existenz.

Ich hatte 2012 fünf Tage Urlaub. Und damit meine ich fünf arbeitsfreie Tage am Stück. Ich fordere keine Privilegien, keine Sonderzuschläge oder eine eigene Sekretärin. Alles, was ich möchte, ist, für eine Summe zu arbeiten, die mein Überleben sichert. Und mir vielleicht hie und da ein Paar schöne Schuhe, ein Stück Sachertorte oder einen Sonnenuntergang inmitten einer Seenlandschaft ermöglicht. Aber ich sehe im Augenblick keine Perspektive, dieses Anliegen jemals erfüllt zu bekommen. Und ich bin einfach zu müde, um noch ein weiteres Jahr dafür zu kämpfen. (Barbara Kaufmann, DER STANDARD, 13.12.2012)