Bild nicht mehr verfügbar.

Yann Arthus-Bertrand fotografierte einen Algenfarmer bei der Ernte auf Bali in Indonesien.

Foto: Yann Arthus-Bertrand / Corbis

Bild nicht mehr verfügbar.

Unter Wasser, aber hübsch ordentlich in Reih und Glied gepflanzt: In Tansania werden Rot- und Braunalgen seit den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gezüchtet - allerdings hauptsächlich für den Export. Wakame-Algen werden aufgrund ihrer Nährkraft in Korea traditionell an Wöchnerinnen verabreicht.

Foto: Beniamino Pisati / Corbis

Mark Edwards forscht an der Arizona State University und ist überzeugt, dass Algen die Welt verändern werden. Wobei: Mindestens einmal haben sie dies bereits getan. Vor etwa 2,3 Milliarden Jahren waren es Algen, die begannen, die Atmosphäre mit Sauerstoff anzureichern. Bis heute produzieren sie etwa fünfzig Prozent des Gases, jeden zweiten Atemzug, den ein Lebewesen tut, verdankt es einer Alge. Nun könnten sie bald wieder für größere Veränderungen sorgen.

Edwards beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Algen, man könnte sagen, er sei besessen von ihnen. Die Leidenschaft begann, als er als Praktikant für den Meeresforscher Jacques Cousteau Algen jätete und bemerkte, wie erstaunlich widerstandsfähig die Gewächse waren. Seither hat die Alge ihn nicht mehr losgelassen.

"Alle Völker, von denen wir wissen, haben Algen und Seegräser gegessen", sagt Edwards, bloß hätten viele irgendwann damit aufgehört. Geht es nach ihm, werden sie bald wieder damit anfangen. Jedes Haus, jedes Dorf, jede Stadt sollte ihre eigenen Algen kultivieren. Dann wäre Schluss mit Hungersnöten, Klimawandel und manchen Kriegen, meint er. Seine Vision: In Zuchtbecken hinter unseren Häusern könnten wir Mikroalgen kultivieren, die aus dem Wasser gefiltert, gegessen oder zu Biosprit verarbeitet werden könnten.

40 Zentimeter am Tag

Manche Algenarten wachsen bis zu 40 Zentimeter am Tag, ihre Zellen teilen sich alle zwei Stunden - keine andere Pflanze kann solche Wachstumsraten aufweisen. Gleichzeitig bestehen sie je nach Art bis zu 70 Prozent aus Protein, mehr als doppelt so viel wie Fleisch. Nutzten wir die gleiche Fläche zum Anbau von Algen statt für Rinderherden, könnten wir 400-mal so viel Proteine produzieren.

Algen gedeihen fast überall, auch dort, wo sonst eigentlich gar nichts wächst. Sie können Wasser nutzbar machen, das viel zu salzig ist, um in der Landwirtschaft brauchbar zu sein, und damit Kriege um Trinkwasser verhindern. Den CO2-Anstieg in der Atmosphäre stoppen sie nebenbei auch noch: Eine Tonne Algen rezykliert 1,8 Tonnen CO2.

Edwards Ideen gelten unter Algenforschern, vorsichtig ausgedrückt, als sehr euphorisch. Dennoch: Dass Algen großes Potenzial haben, darin sind sich die meisten einig.

Menschen nutzen sie seit Hunderttausenden von Jahren. Von den 10.000 bekannten Algenarten sind 90 Prozent mikroskopisch klein, kulinarisch haben wir uns bisher eher an die Makroalgen, besser bekannt als Tang, gehalten.

Für die Japaner, denen es immer an Land, aber nie an Meer mangelte, sind Seetange die Basis der Esskultur. Was dem Österreicher die klare Rindsuppe, ist dem Japaner der Kombu Dashi, der Braunalgenfond, der eine unheimliche geschmackliche Kraft entwickeln kann. Die Koreaner brauen aus der Wakame, einer besonders schnell wachsenden Braunalge, einen speziellen Sud, den Miyeok guk, der Frauen zur Stärkung nach der Geburt verabreicht wird.

Dem Vegetarier die Alge

In Irland wird Dulce geerntet, zu Deutsch Lappentang, eine Form der Rotalge, und ebenfalls zu Salat oder Gemüse verarbeitet. Auch die Bretagne und Teile der spanischen Küste kennen den traditionellen Seetangsalat. In europäischen Binnenstaaten wie Österreich hat sie die Spitzengastronomie vor einigen Jahren entdeckt, nun haben sie auch gute Gastro-Pubs wie das Charlie P's in Wien-Alsergrund wieder auf der Karte.

Was dem Fleischesser die Auster, kann dem Vegetarier die Alge sein: Zwar variieren sie in Konsistenz und Aroma, der herrliche meerig-mineralische Geschmack aber, den sie sich teilen, kann süchtig machen. Warum manche Algen so köstlich sind? Weil sie enorme Mengen Glutamat enthalten.

Der Stoff ist verantwortlich für Umami, den fünften Geschmack, und ist das, was auch gereiftes Rindfleisch, Parmesan oder Tomatensauce so köstlich macht. In japanischen Kombualgen findet sich eine beachtliche Konzentration davon, genauso wie im roten irischen Dulce. Noma in Kopenhagen, das angeblich beste Restaurant der Welt, verwendet Dulce deswegen für Suppen und als Geschmacksstoff für Käse und Eis. Wylie Dufresne, der legendäre New Yorker Küchenchef und Essvordenker, mischte schon Kombu-Sauce in seine Hamburger, um diesen einen ganz speziellen unwiderstehlichen Fleischgeschmack zu verleihen.

Drei Millionen Tonnen Braunalgen

Der allergrößte Teil der weltweiten Algenproduktion landet bisher aber in Industrieprodukten: Agar, ein Stoff, der aus ihren Zellwänden gewonnen wird, ist ein enorm potentes Verdickungsmittel. Neben Eiscreme kommt es in Packerlsuppen und Puddings zum Einsatz. Daneben werden aus Algen etwa Farbstoffe hergestellt: Algenpigmente im Fischfutter lassen das Fleisch von Zuchtlachsforellen appetitlich rosa werden.

Hauptanbauland für Algen ist derzeit China: Dort werden jährlich allein drei Millionen Tonnen Braunalgen geerntet. Europa schickt sich aber an, ebenfalls in das Algengeschäft einzusteigen. An fast allen Küsten gibt es Pilotprojekte zur Braunalgenzucht. Schuld daran ist unter anderem Klaus Lüning.

Der norddeutsche Wissenschafter kultiviert seit Jahren auf Sylt Braunalgen. Im Gegensatz zu Edwards hält er sie nicht für ein Wundermittel. "Sie sind schlicht ein weiteres Gemüse und auch nicht gesünder als Brokkoli", sagt er. Dass wir künftig mehr von ihnen essen werden, davon ist aber auch Lüning überzeugt. Denn sie sind dabei , die Fischwirtschaft zu revolutionieren.

Algenfarmen

Weil die Nachfrage nach Fisch weltweit steigt, aber immer weniger Fische wild im Meer leben, boomen Aquakulturen. Bereits 30 Prozent des weltweit gegessenen Fischs stammt aus Fischfarmen. Die Anlagen haben aber einen großen Nachteil: Das Fischfutter, das hier verfüttert wird, überdüngt die Meere - dadurch gelangen riesige Mengen an Stickstoff und Phosphor ins Wasser. Die Lösung des Problems: Algenfarmen.

Die Braunalgen fressen die Überschüsse aus den Aquakulturen und können anschließend geerntet und wiederum gegessen und als Dung ausgeschieden werden - ein ewiger Kreislauf. "Das ist wie nachhaltige Landwirtschaft beim Gemüseanbau", sagt Lüning. "Das hat der Steinzeitmensch auch schon so gemacht." Angst, dass sich Antibiotika in ihnen anreichern, müsse keiner haben: Antibiotikaeinsatz in Fischfarmen sei in modernen, westlichen Betrieben nicht mehr üblich.

Lüning verkauft seine Algen vor allem als Nahrungsmittel - weil er dann 1000-mal so viel für sie bekommt, als wenn er sie für die Biospriterzeugung verkauft. Er verschickt sie getrocknet, auf Sylt gibt es sie frisch und tiefgekühlt zu kaufen. Wegen des hohen Jodgehalts müssen Braunalgen entweder sehr jung geerntet oder vor dem Verzehr kurz in heißes Wasser gelegt werden, danach können sie ohne Bedenken gegessen werden. Seit Lüning mit der Zucht gestartet hat, ist die Nachfrage größer als das Angebot. (Tobias Müller, Rondo, DER STANDARD, 18.1.2013)