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Verhalf im Theater an der Wien einer Inszenierung zu Glanz- momenten: Florian Boesch als Diktator Tiridate.

Foto: Lilli Strauss/dapd

Wien - Es wäre zweifellos erwägenswert, ihm in der Operngalerie der schillernden Machtungustln einen würdigen Platz einzuräumen: Tiridate, dem seine Gattin Polissena nur noch lästig ist. Tiridate, König Gnadenlos Armeniens, der von Familienaufstellung als Problemlösungsansatz nichts hält, der vielmehr die nächsten Verwandten seiner Gattin in einem Kriegszug auszuradieren bereit ist - schlicht, da er an einer heiklen Stelle Regungen verspürt.

Dass seine neue Angebetete, Zenobia also, mit Radamisto verheiratet ist, dem Bruder seiner ihm (wie gesagt) lästigen Gattin Polissena, tangiert ihn nicht sonderlich. Tiridate ist bereit, alles aus dieser Welt fegen zu lassen, was der Trieberfüllung im Wege steht. Also auch den Herrscher von Thrakien - Farasmane, Vater seiner Gattin und von Radamisto. Ein solches Monster verleiht einer Barockoper reichlich dramaturgische Energie. Wenn es auch noch der Obhut eines Darstellers von der Güteklasse eines Florian Boesch überantwortet wird, steht Georg Friedrich Händels Oper Radamisto im Theater an der Wien vor der Umbenennung in Tiridate. Regisseur Vincent Boussard sieht in diesem Werk die Initiationsstory des Prinzen Radamisto, der zum Herrscher wird und seines Amtes schließlich mit (Happy End bewirkender) Mildtätigkeit auch waltet.

Ein düsterer Charakter

Boesch dominiert die Szenerie mit einer in die Tiefe gehenden Auslotung eines düsteren Charakters. Sein Tiridate ist ein sich mangelnder Empathie bewusster Darsteller aller Gefühlslagen, die ihn seinen Zielen näher bringen. Da sind kindlicher Charme und Erpressung. Momente schrulligen, unberechenbaren Narzissmus stehen neben eitlem Einüben von Posen, wenn es darum geht, sich auf die Begegnung mit der wenig begeisterten Zenobia (intensiv, aber vokal nicht immer sattelfest Patricia Bardon) vorzubereiten, die mit samtig-weichem Tonfall umgarnt wird.

Virtuos, wie Boesch dies alles auch vokal auszudrücken vermag - ob er nun auf einem langen Tisch oder vor einem imaginären Spiegel steht. Ob er in diesem kahlen Raum aus einer der drei Türen kommt (Bühnenbild: Vincent Lamaire) oder seine potenziellen Opfer antobt. An sich will man diese Charakterstudie auch der Regie aufs Ideenkonto gutschreiben. Auch die Kostüme des französischen Designers Christian Lacroix waren in ihrer multihistorischen Offenheit eine Augenweide. Skeptisch stimmt allerdings, dass Vincent Boussard um Boesch herum vielfach nur ein Arienkonzert inszeniert hat, behübscht mit Filmprojektionen quirliger Zierfische.

Mit solch Illustrationen sollte so etwas wie die unbewusste Traumebene der Figuren transparent werden. Leider jedoch wirkt dieses Aquarienambiente reichlich abgekoppelt von den Bühnenvorgängen, bleibt somit ohne inhaltlichen Zusammenhang mit der Geschichte.

Der solide Gesang

So wirkt Boesch letztlich als subtile Ein-Tyrann-Oper im Milieu der szenischen Versteifungen. Traumsymbolische Interpretationen von - in der Oper eher alltäglichen - Utensilien (wie Schirm und Tisch) können sie nicht auflockern. Auch von der vokalen Seite her gibt es keine Erhebung über das Solide hinaus. Am stabilsten wirkte im Grunde Sophie Karthäuser (als Polissena), passabel auch Jeremy Ovenden (als Tigrane) und Fulvio Bettini (als Farasmane).

David Daniels (als Radamisto) schlug sich wacker im Lyrischen und bei Koloraturen, blieb aber doch einiges an Präsenz - sowohl vokal wie auch rollenmäßig - schuldig. So blieb es am Freiburger Barockorchester unter Rene Jacobs, das musikalische Niveau über den Durchschnitt zu heben. Ein verlässlich das Geschehen tragendes Kollektiv ließ sich bisweilen von Jacobs zu erfrischend ruppigen Akzenten animieren, denen theatrale Kraft innewohnte. Mühelos allerdings setzte man zwischendurch auch elegant delikate Phrasierungspointen. Eine Glanzleistung im Mikro- und Makrokosmos der Partitur. In den Applaus mixten sich Buhs für die Regie. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 22.1.2013)