Finanzen von Ländern und Gemeinden in Österreich haben zumeist ein gemeinsames Merkmal: Sie sind intransparent.

montage: derStandard.at/rasch

"Im derzeitigen Rechnungswesen kann man sich kein Bild darüber machen, wie die tatsächliche Lage von Ländern und Gemeinden ist. So kann man die Zukunft nicht gestalten": So fasste Rechnungshof-Präsident Josef Moser die Kritik am veralteten System der Buchführung zuletzt im ORF-"Report" zusammen. Schuld ist die aus Maria Theresias Zeiten stammende Kameralistik, die undurchsichtige Finanzspekulationen wie jene in Salzburg nicht verbucht. Was verbirgt sich hinter dem Uraltsystem und wie kann es reformiert werden? Ein Überblick von derStandard.at:

Frage: Was ist die Kameralistik?

Antwort: "Die Kameralistik war eine große Leistung der Verwaltungsreform in Österreich - aber eben vor etwa 250 Jahren", sagt Peter Bußjäger, Leiter des Instituts für Föderalismus in Innsbruck. Diese Form der Buchhaltung zeige die Ein- und Ausgaben im Staatshaushalt auf, mit einem Nachteil: "Änderungen in den Vermögenswerten, etwa aufgrund von Veränderungen der Werte von Veranlagungen, werden nicht erfasst." Die Kameralistik wurde im 18. Jahrhundert eingeführt und vom Bund wie auch den Ländern betrieben. Seit dem 1. Jänner 2013 geht der Bund von der Kameralistik ab, "man sollte aber nicht so tun, als arbeite der Bund schon seit 100 Jahren mit der doppelten Buchführung und nicht erst seit zehn Tagen", sagt Bußjäger.

Frage: Welche Bundesländer wenden das System noch an?

Antwort: Die Budgetbeschlüsse der Landtage werden nach wie vor nach der kameralistischen Methode berechnet, so Bußjäger, die Form gebe aber der Bund vor. Intern arbeiteten manche Länder allerdings bereits mit dem System der Doppik, also der doppelten Buchführung, etwa Vorarlberg und die Steiermark. "Die Umstellung ist nur eine Frage der Zeit", sagt Bußjäger. Vorteil der Doppik: "Abschreibungen, Wertsteigerungen und Wertverluste werden erfasst, es gibt also keine Gewinn- und Verlustrechnung."

Der ORF-"Report" bringt das Fallbeispiel Kärnten. Hier scheinen aufgrund der Kameralistik die 1,3 Milliarden Euro Schulden der ausgelagerten Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft (KABEG) nicht im Landesbudget auf. Tatsächlich aber sind sie Landesschulden.

Frage: Was sind die Nachteile der Kameralistik?

Antwort: Für Bußjäger ist das Urteil eindeutig: "Die Kameralistik ist für eine moderne Staatsorganisation sicherlich nicht mehr ausreichend. Wenn den Rechnungshöfen dadurch beispielsweise Spekulationsverluste, wie sie in Salzburg erfolgt sind, nicht sichtbar sind, ist das ein Problem."

Auch Stefan Pichler, Finanzexperte der Wirtschaftsuniversität Wien, findet: "Die Kameralistik ist absolut nicht zeitgemäß. Es werden zwar Einnahmen und Ausgaben ordnungsgemäß verbucht, aber das Vermögen und die Schulden werden nicht dargestellt. Wenn jetzt jemand am Ende des Jahres weniger Vermögen als am Anfang hat, dann ist diese Vermögensänderung nicht als Verlust dargestellt, wie das in einer normalen doppelten Buchhaltung der Fall wäre." Der Anreiz sei somit groß, dass man versucht, Ungereimtheiten wie Spekulationsverluste unter den Teppich zu kehren.

Frage: Wer entscheidet in Österreich eigentlich über die Finanz-Spielregeln zwischen Bund und Ländern?

Antwort: Theoretisch könnte Finanzministerin Maria Fekter auch ohne Verhandlungen mit den Ländern einheitliche Regeln für deren Budgetpläne ("Voranschläge") und Bilanzen ("Rechnungsabschlüsse") erlassen. Die Grundlage dafür findet sich seit 1948 im Paragraf 16 des Finanz-Verfassungsgesetzes. Der ermächtigt das Finanzministerium, im Einvernehmen mit dem Rechnungshof eine entsprechende "Voranschlags- und Rechnungsabschluss-Verordnung" (VRV) zu erlassen.

In der Praxis haben sich Länder und Gemeinden allerdings mit dem Bund darauf geeinigt, die Transparenzbestimmungen für ihre Budgets gemeinsam festzulegen ("Heiligenbluter Vereinbarung" vom 28. Juni 1974). Die damals eingesetzte Arbeitsgruppe ("Voranschlags- und Rechnungsabschluss-Komitee") besteht zwar immer noch, große Fortschritte gibt es bei den jährlichen Treffen aber nicht. Eine umfassende Reform der VRV ist in den bald 40 Jahren nicht gelungen.

Frage: Wo genau besteht nun Reformbedarf?

Antwort: Rechnungshof und Staatsschuldenausschuss nennen vor allem drei Probleme: die mangelnde Vergleichbarkeit der Länderbudgets, nicht erfasste Ausgliederungen und das veraltete System der Kameralistik.

Grund für die mangelnde Vergleichbarkeit der Länderbudgets: Die VRV enthält zwar hunderte Kategorien, denen Ausgaben zugeordnet werden können. Welche Kategorie in der Praxis gewählt wird (allein bei der Wohnbauförderung gibt es sieben Möglichkeiten), bleibt aber den Ländern überlassen, ein verbindlicher "Kontierungsleitfaden" fehlt. Ähnliches gilt für Personalstand, Schulden, Vermögen, Zahlungsverpflichtungen und so weiter. Der Staatsschuldenausschuss forderte daher zuletzt im Dezember eine umfassende Reform der VRV.

Zweitens regelt die Verordnung nur die offiziellen Landesbudgets, nicht aber die der ausgegliederten Einrichtungen. Dort wickeln die Länder allerdings schon mehr als ein Fünftel ihrer Ausgaben ab. In vielen Ländern haben beispielsweise die ausgegliederten Spitäler hohe Schulden angehäuft, die damit außerhalb der offiziellen Budgetbilanz stehen.

Drittens enthalten die Rechnungsabschlüsse zwar Angaben über das Landesvermögen, nur sind diese häufig wenig aussagekräftig - siehe Salzburger Finanzskandal und niederösterreichische Wohnbauförderung. Grund dafür: Die Budgets der Länder basieren noch auf dem System der Kameralistik, das lediglich die Einnahmen und Ausgaben gegenüberstellt. Eine vollständige Vermögensbilanz, wie sie der Bund gerade erstellt, fehlt. Damit werden etwa langfristige Investitionen und Abschreibungen, aber auch Spekulationsverluste nicht erfasst. Rechnungshof und Staatsschuldenausschuss fordern von den Ländern daher eine Reform des Haushaltsrechts nach Vorbild des Bundes, also eine Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik (doppelte Buchführung inklusive Vermögensbilanz).

Frage: Was muss aktuell gemeldet werden?

Antwort: Die zwischen Bund, Ländern und Gemeinden akkordierte VRV gibt Mindeststandards für die Transparenz der Budgets vor. Demnach müssen die Länder einmal jährlich einen Budgetvoranschlag und einen Rechnungsabschluss vorlegen, wo Einnahmen und Ausgaben aufzulisten sind. Der Rechnungsabschluss muss weiters Auskunft über Schuldenstand, Darlehen, Wertpapiere und Beteiligungen geben.

Gegliedert werden die Budgets in zehn Ausgabengruppen ("Allgemeine Verwaltung", "Öffentliche Ordnung und Sicherheit", "Unterricht, Erziehung, Sport und Wissenschaft", "Soziale Wohlfahrt und Wohnbauförderung", "Gesundheit" etc.) mit hunderten Untergruppen.

Frage: Wie kann man die Landesfinanzen transparenter machen?

Antwort: Der Bund hat sich mit 1. Jänner 2013 vom System der Kameralistik verabschiedet. Bußjäger und Pichler würden es für sinnvoll halten, dass auch die Länder auf das System der Doppik umsteigen. Die Vorgänge in Salzburg würden das sicherlich beschleunigen, sagt Bußjäger.

Frage: Anfang Jänner wurde ein Spekulationsverbot in Aussicht gestellt. Reicht dieses aus?

Antwort: Für Bußjäger ist die neue Regelung ausreichend: "Das Spekulationsverbot wird ja im Detail in der Bund-Länder-Vereinbarung festgeschrieben. Mit der vereinbarten Vorgangsweise ist man flexibler, und vor allem kann auch der Bund davon nicht abweichen."

Für Rechnungshof-Präsident Moser reicht das Spekulationsverbot jedoch nicht. Moser kritisiert, "dass nicht einmal die außer Streit stehenden Grundsätze" des Spekulationsverbots in die Verfassung aufgenommen werden sollen. Stattdessen sind neben der allgemein gehaltenen Verfassungsbestimmung und der ausführenden Bund-Länder-Gemeinden-Vereinbarung ("17-F-VG-Vertrag") noch ein Bundesgesetz, neun Landesgesetze und zehn Richtlinien geplant. Damit bleibe der Gestaltungsspielraum der einzelnen Länder "enorm groß".

Stephan Greger, deutscher Experte für die Aufarbeitung von Spekulationsgeschäften, fordert zusätzlich eine zivilrechtliche Regelung, die Verträge für nichtig erklärt, die entgegen dem Spekulationsverbot geschlossen wurden. Außerdem wäre laut Greger zu überlegen, auch die Banken in die Verantwortung einzubinden und Sanktionen für Banken vorzusehen, wenn sie solche künftig "verbotenen" Geschäfte mit Ländern oder Kommunen abschließen. (APA/rasch/seb, derStandard.at, 24.1.2013)