Sechs junge Lehrer über fehlende Vorbereitung auf Konflikte in den Klassen, zu wenig Praxis und mangelnde Tiefe in der Ausbildung

In Österreich wird seit Jahren die Lehrerausbildung kritisiert. Die Ausbildung für Pflichtschullehrer an den Pädagogischen Hochschulen ist zu wenig wissenschaftlich, an den Universitäten fehlt der Bezug zur Praxis, lautet der Tenor. Im Frühjahr soll eine Reform beschlossen werden, die 2014 in Kraft tritt (siehe "Hintergrund" unten). Sechs Junglehrer und Junglehrerinnen erklären in derStandard.at, warum manche Reformvorschläge die Situation verschlechtern würden und wie sie selbst die Lehrerausbildung verbessern würden. Sie erzählen über die Herausforderungen in den ersten Dienstjahren und warum das Bild des faulen Lehrers nicht stimmt. Einer von ihnen hat sich noch vor seinem Studienabschluss entschieden, den Job an den Nagel zu hängen.

Franz Knoflach (25) wünscht sich vor allem eines: dass in der Öffentlichkeit anerkannt wird, wie viel engagierte Lehrer tatsächlich arbeiten. "Die Leute sehen nur, dass ein Lehrer 21 Stunden lang in der Klasse steht, aber danach geht er nicht Ski fahren oder ins Schwimmbad, sondern arbeitet zu Hause weiter, auch am Wochenende und am Abend", sagt er. Am Ende des Tages zerbricht sich Knoflach oft noch den Kopf über die Situation in seiner Klasse. Er unterrichtet in einer Tiroler Privatschule des SLW, des Sozialwerks der Kapuziner. Seine Schüler sind vor allem Burschen, die verhaltensauffällig sind und sich an anderen Schulen schwer tun.

An der PH waren Knoflachs Hauptfächer Deutsch und Biologie. Nachdem einem Jahr an einer öffentlichen Hauptschule wurde eine Stelle am SLW frei. "Es war eine extreme Umstellung, man muss sich als Lehrer total zurücknehmen", sagt Knoflach. "Man muss mehr auf die Wünsche der Kinder eingehen." Das heiße aber nicht, dass die Kinder machen können, was sie wollen, denn dann würden sie wohl Playstation spielen. "Sie brauchen Richtlinien und Anreize dafür, etwas zu entdecken, was sie vorher nicht gekannt haben." Derzeit unterrichtet er sieben verschiedene Fächer. Er habe erst lernen müssen, dass es nicht so wichtig sei, den gesamten Lehrstoff durchzubringen. Von einer Reform der Lehrerausbildung erwartet sich Knoflach ein Auswahlverfahren für Lehrer. "Es gibt so viele Lehrer, die für den Beruf gar nicht geeignet sind. Das sind Leute, die drei Monate lang frei haben wollen und die restlichen neun Monate dafür auf sich nehmen."

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Carina Maier (27) unterrichtet, obwohl sie offiziell keine Lehrerin ist. Ihre Diplomarbeit in Deutsch ist noch ausständig, ihr Zweitfach ist Englisch. Das einjährige Unterrichtspraktikum, bei dem man von bereits unterrichtenden Lehrern unterstützt wird, will sie im Herbst absolvieren. Maier ist Sondervertragslehrerin an einem Gymnasium in Wien-Donaustadt. Der Stadtschulrat beschäftigt schon seit längerem Lehramtsstudenten, um den Lehrermangel auszugleichen: Zwischen 2012 und 2025 gehen österreichweit mehr als die Hälfte der rund 100.000 Lehrer in Pension.

"Bei mir war es so: Komm hin und unterrichte. Das war schon ein Sprung ins kalte Wasser", erzählt Maier. Sie hatte aber jegliche Unterstützung von der Schule, weshalb sie das frühe Unterrichten als gute Erfahrung für sich verbucht. Das führt sie auch darauf zurück, dass sie bereits ein Jahr lang als Fremdsprachenassistentin in Großbritannien unterrichtet hatte. Eine Garantie, weiter an der Schule unterrichten zu können, hat sie nur für dieses Schuljahr. Am meisten für ihren Beruf hat Maier durch das Hospitieren gelernt, also beim Zuschauen im Unterricht anderer Lehrer. "Es gibt kleine Kniffe, die man sich abschauen kann", sagt sie. So hat sie zum Beispiel gelernt, dass man eine Klasse nicht überschreien kann, wenn die Kinder zu laut sind. "Man muss sich Signale ausmachen - in meiner Englischklasse klatsche ich."

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Im Gegensatz zum Lehramtsstudium an der Universität wird man an der Pädagogischen Hochschule "schleichend" an das Unterrichten herangeführt. So nennt es zumindest Bernhard Lahner (28), der gerade das letzte Studienjahr an der PH Wien abschließt. "Man steht von Anfang an in der Klasse", sagt er. Im ersten Semester wird hospitiert, die Studenten schauen also Lehrern beim Unterrichten zu; bereits im zweiten Semester unterrichten die angehenden Pädagogen selbst. Lahner ist Quereinsteiger. Bevor er sich zu seiner Ausbildung als Sonderpädagoge in Wien entschied, hat er zehn Jahre lang in einem technischen Beruf gearbeitet. Er wollte weg aus Oberösterreich, weg vom Land und "etwas Soziales machen". Deshalb hat er die Studienberechtigungsprüfung abgelegt.

Weil ihm die Uni zu offen und unstrukturiert war und er keine Fachhochschule besuchen wollte, hat er sich für die PH entschieden. Volksschul- oder Hauptschullehrer zu werden hat ihn nicht interessiert. Als Sonderpädagoge habe man beim Unterrichten wesentlich mehr Spielraum, während man in der Volksschule mit 25 Kindern das Programm durchziehen müsse. An der Ausbildung an der PH schätzt Lahner die Vielfalt des Fächerkanons und den hohen Praxisbezug. Trotzdem sei die PH ziemlich verschult, die Inhalte der Lehrveranstaltungen würden nicht vertieft. "Die Wissenschaftlichkeit fehlt", bestätigt er das, was auch Experten schon lange monieren. Derzeit sei die Ausbildung für Lehrer an Pflichtschulen wie eine Lehre und keine Ausbildung auf Hochschulniveau. Dass eine stärkere Kooperation zwischen Unis und PHs tatsächlich umgesetzt wird, glaubt Lahner nicht. Die Pädagogischen Hochschulen unterliegen den Weisungen des Unterrichtsministeriums, die Universitäten sind autonom. "Die Unis wollen ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben", glaubt Lahner.

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"Das erste Mal vor der Klasse zu stehen ist irrsinnig aufregend. Am Anfang ist viel passiert, was ich gar nicht mitbekommen habe. Es ist einem gar nicht klar, was die Kinder da alles tun, während man unterrichtet." Regina Bösch (27) erzählt von ihrer ersten Unterrichtsstunde. Sie ist in ihrem ersten Dienstjahr als Lehrerin an einem Realgymnasium im 18. Wiener Gemeindebezirk. Als eine Reform bei der Lehrerausbildung angekündigt wurde, hat sie vor rund einem Jahr als gewählte Vertreterin der Unterrichtspraktikanten in Wien gemeinsam mit einer Kollegin eine Initiative für Junglehrer und Junglehrerinnen aufgebaut.

Sie sieht im Vorschlag der Regierung zur neuen Lehrerausbildung viele Punkte, die eine Verschlechterung bringen würden. Bei der neuen Lehrerausbildung ist ein vierjähriges Bachelorstudium, eine ein- bis zweijährige "Induktionsphase" und ein berufsbegleitendes Masterstudium vorgesehen. Lehrer sollen erst mit einem Masterabschluss in einen Regelvertrag einsteigen können. "Ich habe damit eine billige Arbeitskraft gekauft und muss sie nicht als Staatsbedienstete anstellen und ihr nichts für die Biennalsprünge anrechnen", kritisiert Bösch. Die Musik- und Englischlehrerin hält es auch für einen Fehler, dass Junglehrer während der Induktionsphase 22 Stunden pro Woche in der Klasse stehen sollen. "Ich frage mich, warum das Induktionsphase heißt, wenn ich keine Zeit dafür habe, in den Beruf eingeführt zu werden. So höhlt man das Ganze aus", sagt Bösch.

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Christoph Müller (26) hat sich dazu entschieden, doch nicht Lehrer zu werden. Müller will anonym bleiben, die Redaktion hat deshalb seinen Namen geändert. "In letzter Zeit ist im Uni- und im Schulalltag in mir die Erkenntnis gereift, dass mir das Lehrersein doch nicht so gefällt, wie es mir am Anfang gefallen hat", erzählt er. Müller studiert derzeit an der Universität Graz die Fächer Geschichte und Geografie auf Lehramt. Er kommt aus einer Lehrerfamilie, seine Mutter unterrichtet an einer Volksschule, sein Vater am Gymnasium. So sei auch er auf die Idee gekommen, Lehrer zu werden. Im jetzigen System stoße er aber an Grenzen.

"Ich habe nicht das Gefühl, dass sich jemals etwas ändern wird. Solange sich an den Schulen, an der Ausbildung und an den Lehrern nichts ändert, bin ich nicht bereit, mich hier zu engagieren", meint er. Wenn er in den Unterrichtsstunden, die er bisher während seines Studiums gehalten hat, etwas unkonventioneller sein wollte, sei er sofort auf Widerstände gestoßen: "Es heißt dann: Nein, das geht nicht, das kann man nicht machen." Als er einmal in einer Klasse, die in Geschichte Probleme hatte, richtige Antworten mit kleinen Leckereien wie Keksen belohnte, sei das von der Geschichtelehrerin der Klasse unterbunden worden. An der Uni stören ihn am meisten Professoren, die "vielleicht ein halbes Jahr in der Klasse unterrichtet haben und dann in die Lehrerausbildung gehen. Die haben selber keine Ahnung." Er erzählt von Professoren, die ihre Studenten Materialien für die Vorlesung vorbereiten lassen. Müller plant sein Studium trotz seiner Zweifel am Lehrberuf abzuschließen. "Mit einem Studienabschluss hat man es am Arbeitsmarkt leichter."

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Wenn Daniela Rzepa (27) um halb zwei Uhr am Nachmittag nach Hause kommt, bekommt sie von ihren Nachbarn manchmal ein süffisantes "Na, schon zu Hause?" zu hören. "Ich fühle mich dann immer gepflanzt. Mein Rucksack ist voll mit Heften, und ich muss den Rest meiner Arbeit von zu Hause aus erledigen. Das wird nicht gesehen", beschwert sie sich. Rzepa unterrichtet Deutsch und Musik an einer Privatschule in St. Pölten. "In der Schule habe ich einen einen dreiviertel Quadratmeter großen Schreibtisch - wenn ich dort bis halb fünf hocken würden, wäre wahrscheinlich die Nation Österreich zufrieden, aber meine Unterrichtsqualität würde leiden", ist sich Rzepa sicher. Bei ihrer Ausbildung als Deutschlehrerin hat sie vor allem den Praxisbezug vermisst.

"Ich habe sieben Jahre lang studiert, und dann stehe ich vor einer Klasse und weiß nicht, wie ich emotional mit so manch herausfordernder Situation, auch im Kontakt mit Eltern oder Kolleginnen und Kollegen, umgehen soll. Fachlich und organisatorisch hatte ich kein Problem", sagt sie. Vor allem über den geeigneten Umgang mit gewalttätigen Schülern wüsste sie gerne mehr. Über die Einführung der Schulpflicht durch Maria Theresia zu lernen sei zwar "ganz nett, aber es hilft einem nichts, wenn dann zwei Schüler in der Klasse vor einem stehen und der eine den anderen beißt". Sie wäre dafür, aus dem Konzept der PH die frühe Praxis auf die Ausbildung an der Uni zu übertragen - unter Beibehaltung des fachlichen Stundenausmaßes. "Man bleibt so lange fern vom Berufsfeld, dass man vielleicht zu spät draufkommt, dass das nicht das Richtige für einen ist. Viele werden dann unglücklich, was schade ist, weil der Beruf eine wirklich wunderbare Aufgabe ist", so die Lehrerin.

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Hintergrund

Derzeit werden Lehrer für Volks-, Haupt- und Neue Mittelschulen drei Jahre lang an den Pädagogischen Hochschulen (PH) ausgebildet. Jene, die an AHS, BMS und BHS unterrichten wollen, müssen an der Universität ein vierjähriges Lehramtsstudium absolvieren. Danach schließen sie ihre Ausbildung mit einem einjährigen Unterrichtspraktikum ab. Seit jeher wird den PHs zu wenig Wissenschaftlichkeit vorgeworfen, die Unis sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass ihre Absolventen zu wenig Praxiserfahrung sammeln. Die Regierung will deshalb im Frühjahr eine Reform der Lehrerausbildung beschließen, die eine stärkere Zusammenarbeit von Unis und PHs vorsieht.

Alle angehenden Lehrer sollen künftig nach einem Aufnahmeverfahren am Beginn des Studiums zuerst ein vierjähriges Bachelorstudium abschließen. Anschließend ist eine Induktionsphase vorgesehen, in der erfahrene Kollegen die Junglehrer in den Beruf einführen. Für Pflichtschullehrer soll diese Phase zwei Jahre, für AHS-Lehrer ein Jahr dauern. Zudem müssen alle Lehrer ein ein- bis zweijähriges Masterstudium absolvieren, das Voraussetzung für eine Fixanstellung ist. (Lisa Aigner, derStandard.at, 31.1.2013)

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