Der Begriff "Kaiserschnitt" ist lateinischen Ursprungs. "Caedere" bedeutet "aufschneiden".

Grafik: Rawicka

Hoch soll sie leben, Kinder soll sie kriegen: Wer kennt es nicht, das Geburtstagslied, das meist unmittelbar nach dem Happy Birthday angestimmt wird. "Kinder soll sie kriegen": Eines Tages ist es so weit, und schon stehen große Entscheidungen an. "Wie entbinden?" "Wo?" "Mit oder ohne eigene Hebamme?" Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, haben selten Antworten auf diese Fragen. Dass Frauen Angst vor etwaigen Schmerzen haben und von vornherein einen Kaiserschnitt wollen, stimme ganz und gar nicht, sagt die Frauenärztin Elisabeth Kucera-Sliutz vom Wiener Rudolfinerhaus. "Geburten können dank Kreuzstich heute ohnehin relativ schmerzarm ablaufen."

So wie ihre Kollegen hält sie sich an die herrschenden Leitlinien der Fachgesellschaft. Mehrlingsgeburten, Becken-Endlage, ein Schädel-Becken-Missverhältnis (sprich: ein sehr großes Kind) und etwaige vorangegangene Kaiserschnitte sind klare Indikationen für einen Eingriff, auch Situationen während der Geburt können die Operation akut notwendig werden lassen, erfahren Frauen. 

Kritik: Zu wenig Privatsphäre

"Schwangere kommen viel zu schnell ins Fahrwasser der Mediziner, deren Fokus auf Problemen liegt. Ärzte sind zur Aufklärung ja auch verpflichtet", weiß Sylvia Sedlak, Initiatorin der Bürgerinitiative Geburtsallianz. Ziel des von ihr gegründeten Vereins: Frauen zur natürlichen Geburt ermutigen und Rüstzeug zu mehr Selbstbewusstsein gegenüber Medizinern vermitteln. Den Weg dorthin sieht sie über die Hebammen, die einen wesentlich positiveren Zugang zum Ereignis Geburt hätten. Eine langfristige Begleitung durch eine eigene Hebammen sollte Grundrecht für Schwangere sein. Was die Geburtsallianz noch kritisiert, sind die schlechten Bedingungen für Gebärende wie zu wenig Privatsphäre und mangelnde Infrastruktur für alternative Geburtsmethoden in den Kliniken. Die viel zu hohe Kaiserschnittrate von 30 Prozent sei ein klares Indiz für Verbesserungsbedarf.

Mit der Schwerkraft

Die ehemalige Hebamme und jetzige Filmemacherin Karin Berghammer bestätigt: "Die Parameter für die Entscheidung zu einem Kaiserschnitt sind schwammig und lassen großen Interpretationsspielraum." Dass Frauen immer noch mehrheitlich im Liegen gebären, empfindet sie als größten Missstand, ein Resultat mangelnder Aufklärung. "Das ist unnatürlich und eine Stellung, die gegen die Schwerkraft gerichtet ist. Gerade die Schwerkraft kann eine Geburt wesentlich erleichtern. Alternative Stellungen sind für Arzt und auch Hebammen oft unpraktischer", erklärt sie und zeigt in ihrem Film "birth-move-ment" Alternativen.

Für sie ist die Art des Gebärens nicht nur eine Frage der individuellen Vorlieben: "Eine natürliche Geburt stärkt jede Frau, es ist ein Unterschied, ob ich das Kind aufrecht herausatme oder wie entmündigt liegen muss." Der Prozess einer Geburt lasse eine Frau ihre eigene Kraft erleben und Männer Respekt haben - "es ist kein Zufall, dass in Ländern mit niedrigen Kaiserschnittraten immer auch mehr Frauen im Parlament sitzen", so Berghammer.

Operationsrisiko bei einem Prozent

Dass 30 Prozent aller Geburten in Österreich Kaiserschnitte sind, obwohl die Weltgesundheitsorganisation zehn bis 15 Prozent als Richtwert empfiehlt, ist für Christian Marth, Präsident der Österreichischen Gynäkologischen Gesellschaft, unproblematisch. Zum einen stammten die WHO-Empfehlungen aus dem Jahre 1985 und seien veraltet, zum anderen "ist es ein Unterschied, ob ein Kaiserschnitt in Afrika unter schlechten hygienischen Bedingungen oder hierzulande durchgeführt wird", sagt er.

Das Operationsrisiko in einem Industrieland wie Österreich liege bei einem Prozent und sei so gering, dass die Entscheidung für einen Kaiserschnitt oft eine klare Sache sei, wenn dem eine etwaige Gefährdung des Kindes gegenüberstehe, sagt Marth. Die Becken-Endlage sei ein klassisches Beispiel dafür. 94 Prozent wurden 2011 durch Kaiserschnitt entbunden, weil statistisch betrachtet eines von 400 Kindern, das natürlich aus der Becken-Endlage entbunden wird, einen Schaden davonträgt. "Wenn eine Frau dieses Risiko eingehen will, muss sie mir das unterschreiben", sagt Marth. 

"Sie wollen ja nicht Ihr Kind gefährden", dieser Satz sei, so Sedlak vom Verein Geburtsallianz, der Killersatz für jede natürliche Geburt und auch die Erklärung für die hohe Kaiserschnittrate. "Die Ärzte haben Angst vor Schadenersatzklagen, vor allem dann, wenn sie jung sind und wenig Erfahrung haben, da fehlt oft der Mut, abzuwarten und einer Frau Zeit zu geben", bestätigt auch Doris Ruthensteiner vom Hebammengremium Wien. Durch die Option zur Operation sei vor allem bei jungen Kolleginnen das Wissen über eine natürliche Steißgeburt nahezu verlorengegangen.

Gefühle und Ängste

Schwangerenbetreuung durch erfahrene Hebammen als medizinische Grundversorgung, um Frauen Sicherheit in einer ihnen unbekannten Situation zu geben, wird in Österreich gerade evaluiert. "Pilotinnenprojekt: Kostenlose Schwangerenbetreuung durch Hebammen" (PIP) heißt ein Projekt am Hebammenzentrum Wien. Dass ihre Fragen, die laufend auftreten, beantwortet wurden und sie ihre Gefühle und Ängste abseits medizinischer Betreuung besprechen konnten, empfanden die 370 Probandinnen als überaus positiv. PIP-Projektleiterin Regina Zsivkovits vermutet, dass jene Kaiserschnitte, die als Antwort auf Angst empfohlen werden, bei einfühlsamer Beratung vermieden werden können. "Manchmal ist es wirklich abenteuerlich, mit welchen Scheinbefunden Kaiserschnitte empfohlen werden."

"Für Gynäkologen ist die Arbeit mit der Geburt zu Ende, dabei sind gerade Frauen nach einem Kaiserschnitt besonders betreuungsbedürftig", sagt Renate Mitterhuber, Hebamme und Stillberaterin in der Nachsorge. Dass Kaiserschnitte für Frauen problemlos ablaufen, kann sie nicht bestätigen. Unter Schmerzen und Bewegungseinschränkungen leiden alle, viele können sich ihrem Kind nicht so widmen, wie sie es gerne wollten, auch Probleme beim Stillen beobachtet sie. "In den ersten Stunden nach der Geburt passiert hormonell viel, was die Mutter-Kind-Beziehung betrifft", sagt sie.

Dass die Wehen der Mutter das Kind aufs Atmen vorbereiten und sich das positiv auf den Saugreflex auswirkt, dass die Körpertemperatur der Mutter nach der Geburt ansteigt, um das Kind zu wärmen, und deshalb der ständige Hautkontakt wichtig ist, sollten Frauen wissen. Nicht grundsätzlich, aber tendenziell seien Kaiserschnittbabys auch öfters Schreikinder, will sie festgestellt haben. "Frauen, die denken, eine natürliche Geburt wäre möglich gewesen, hadern später am meisten mit dem Kaiserschnitt."

Kein Risiko für das Kind eingehen

Wie ließen sich die Kaiserschnittraten senken? Durch Aufklärungen, sagen Hebammen. Die Gynäkologin Kucera-Sliutz sieht neben einer engen Zusammenarbeit zwischen Arzt und Hebamme auch Möglichkeiten im Entlohnungsschema. Würden für natürliche Geburten mehr Leistungspunkte vergeben bzw. würden die Honorare angehoben, könnte das einen Effekt haben. Finanzielle Interessen sowie Angst vor Schadenersatzforderungen lässt Marth nicht gelten. "Frauen haben sich durch die Evolution verändert, das macht Geburten störanfällig, wir wollen keine Risiken für das Kind eingehen", sagt er.

Für ihn sind Kreuzstich und Kaiserschnitt Errungenschaften. Dem gegenüber steht die Aussage der Filmemacherin Berghammer: "Der Körper der Frau ist fantastisch auf die Geburt eingestellt." Sylvia Sedlak von der Geburtsallianz empfiehlt Schwangeren, sich von erfahrenen Hebammen begleiten zu lassen. Dass das Standard wird, dafür kämpft sie. Damit "Geburtstage" von Anfang an gute Tage sind. (Karin Pollack, Family, DER STANDARD, 27.2.2013)