"Ich fühle nichts, / was ihr nicht fühlt": Probefoto aus dem am Freitag im Rahmen des Down-Syndrom-Festivals uraufgeführten Stück "Schritte".

Foto: Volker Tenta

Wien - Das Down-Syndrom, erklärt Wikipedia, wird durch eine Genommutation des 21. Chromosoms ausgelöst, welches dreifach vorliegt; daher auch die weitere Bezeichnung Trisomie 21. Neben körperlichen Merkmalen sind die kognitiven Fähigkeiten der Menschen mit Down-Syndrom beeinträchtigt. Jedes 700. bis 800. Kind wird weltweit mit einer Trisomie 21 geboren, erfährt man beim Netzwerk Down-Syndrom Österreich. Sowie: Jedes Kind, jeder Erwachsene mit Down-Syndrom "ist ein einzigartiges Individuum mit eigenen Hoffnungen, Wünschen, Träumen und Ängsten, mit spezifischen Begabungen, Einschränkungen und Fertigkeiten".

Natürlich haben Menschen mit Down-Syndrom Gefühle - fast noch mehr als " normale" Menschen, möchte man meinen -, und natürlich wollen sie diese ausdrücken, zum Beispiel durch Tanz. Zu diesem Behufe haben die ehemaligen Staatsoper-Ballettschülerinnen Beata Vavken und Claudia Sack 2008 die I Dance Company gegründet, als eine Weiterentwicklung von Renato Zanellas "off ballet special". Einmal pro Woche proben Menschen mit Beeinträchtigung, proben Kinder, Jugendliche und Erwachsene Tanzstücke, die beim Down-Syndrom-Festival und auf zahlreichen Gastspielen im In-und Ausland die Zuschauer begeistern.

Einer der Begeisterten war vor Jahren Peter Turrini, der Dichter hat nach Besuch einer Vorstellung "so begeistert vor sich hingeredet", dass man ihn zum Mitmachen aufforderte. Turrini machte mit, sogar persönlich, bei der Produktion Im Namen der Liebe etwa. Nun schrieb er auch das Libretto für die neueste I-Dance-Tanzgeschichte Schritte - ein Tanzspiel , die am 1. 3. im Rahmen des Down-Syndrom-Festivals auf der Probebühne des Theaters an der Josefstadt uraufgeführt wird.

Den "Bogen des Lebens" schreitet das in rührender, schlichter Turrini-Sprache verfasste Stück ab, er beschreibt das Werden, das Lieben, das Altwerden von Menschen, die anders sind als der Durchschnitt. Und somit das Glück und das Leid der Tänzerinnen und Tänzer der Company: "Ich fühle nichts, / was ihr nicht fühlt. / Die Angst, dass man mich übersieht. / Die Furcht, dass mein werbendes Lachen / auf meinem Gesicht verblüht."

Infight des Begehrens

Die schönen Turrini-Worte singt Kyrre Kvam. Wir sind auf einer I-Dance-Probe im Amerlinghaus am Spittelberg, Kvam hat die Musik zu diesem Stück gemacht, schöne, kraftvolle, Musik. Bea Vavken leitet die Probe mit Sekt (Geburtstag!), Strenge, Einfühlsamkeit und Charisma. Angelina Jolies Gene, ein zweites Mal Materie geworden: Das ist Bea Vavken. Passiert mal ein hartnäckiger Hänger, fragt Vavken mit Bestimmtheit: "Wo ist der Text?" Die Antwort einer I-Tänzerin kann dann schon mal lauten: "Der ist nach Hause gegangen!"

Beim Tanzen - die Grundideen der Choreografien stammen von den Tänzerinnen und Tänzern - kommt es seltener zu Lücken. Es gibt Gruppennummern, ein Pas de deux wird zu einem Stierkampf, einem Infight des Begehrens; mal spiegelt Vavken die Bewegungen eines Tänzers, mal wird solo getanzt, wie etwa von Mathias, dem Baryshnikov der Truppe.

Die Skepsis, ob die emotionale Offenheit der Darsteller nicht teilweise auch einen gewissen Voyeurismus im Publikum bedient, wird schnell zerstreut. Im Gegenteil: Man erfährt, wie elementar Kunst, also Formgebung eines Gefühls, für einen Menschen ist. Und man lernt, wie sehr wir doch alle Gefäße der Emotionen sind, die uns durchdringen - nur dass wir "normale" Erwachsene die Mittel haben, sie besser unter Verschluss zu halten oder dosierter, kontrollierter zuzulassen. Was man, wenn man nach der Probe unter Durchschnittsbürgern in der U-Bahn sitzt, fast schon wieder bedauert.   (Stefan Ender, DER STANDARD, 28.2.2013)