Salzburg - Es gibt Verbindungen zwischen dem Dadaismus, dem französischen Situationismus der 50er-Jahre und dem Punk der 70er. Die offizielle Geschichtsschreibung blendet gern wichtige Fakten über den Widerstand gegen die bürgerliche Kultur des 20. Jahrhunderts aus.

Der US-Journalist und Pop-Experte Greil Marcus, 58, hat 1989 mit Lipstick Traces - A Secret History of the 20th Century versucht, die Ignoranz der konventionellen Geschichtsschreiber auszugleichen.

In den Räumen einer Shoppingmall in Austin, Texas, wirkt seit 1995 ein engagiertes Theaterkollektiv, das sich Rude Mechanicals nennt. Im Laufe einer heißen Auseinandersetzung der Gruppe mit Marcus' Kultbuch entstand unter der Regie von Shawn Sides Lipstick Traces, eine humorige Theatershow, die kürzlich bei der Sommerszene Salzburg ihre Europapremiere feierte. Wir begegnen einigen wahren Helden des verflossenen Jahrhunderts, darunter dem Dada-Poeten Hugo Ball, dem situationistischen Philosophen Guy Debord oder Malcolm McLaren, der unter anderem als Impresario der legendären Punkband Sex Pistols wirkte.

"Vertraue auf Gott und arbeite nie", predigte der Wiedertäufer Johann von Leyden 1534 vor seiner Hinrichtung in Münster. Welche Zusammenhänge gibt es zwischen den Arbeitsverweigerungsparolen der Wiedertäufer sowie der Situationisten und der No-Future-Ansage des Punk? Die Rude Mechanicals versuchen, Marcus' brillantes Gedankengut so auf die Bühne zu bringen, dass auch Zuschauer, die den Namen Debord noch nie gehört haben, verstehen können, worum es geht. Dadurch bleibt das Stück in seiner Form zwar ziemlich konventionell, erhält aber unbestreitbar unterhaltsame Qualitäten.


Drummer und Mama

Die Welt des Pop steht auch im Mittelpunkt von Richard Maxwells Stück Drummer Wanted, der zweiten Europapremiere neuen US-Theaters in der Sommerszene. Maxwell und seine New York City Players waren vor einigen Jahren mit den Stücken House und Showy Lady Slipper bereits bei den Wiener Festwochen zu Gast. In Salzburg zeigten sie nun in ihrer köstlichen Dramenpersiflage, wie ein etwas derangierter Rockmusiker seine Rekonvaleszenz und sein Lebenstrauma nach einem Motorradunfall bei seiner unbarmherzig rührend Klavier spielenden Mama durcharbeitet: "I had dates with desasters, I got laid with deasters!"

Die beiden berückenden Schauspieler Pete Simpson und Ellen Lecompte zwängen ihre Figuren mit wohl dosiertem Understatement in die enge Szenerie, leiern ihre Texte, bewegen sich roboterhaft. Langsam reiben sich in Drummer Wanted , noch lakonischer als etwa in House , drei Stereotype aneinander auf: die Bürgerlichkeit, der Pop und das illusionistische Theater. (Helmut Ploebst/DER STANDARD; Printausgabe, 16.07.2003)