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Jérôme Savary: Impresario mit Haltung und untrüglichem Gespür.

Foto: apa

Paris - Sich selbst nannte der Sohn eines Franzosen und einer Nordamerikanerin einen "Melankomiker". In Buenos Aires geboren, wuchs Jérôme Savary in der mittelfranzösischen Provinz auf. Seine Theatersehnsucht wurde von den durchziehenden Wandertruppen geweckt: Savarys Karriere als Revueregisseur entsprang einer unbedingten Liebe zum Schaustellergewerbe.

"In die Schule des Lebens" ging der junge Savary ausgerechnet in New York. Er verkehrte dort mit Sonderlingen wie Thelonious Monk. Er chauffierte die Witwe des früh verstorbenen Charlie Parker. Zurück in Paris, befreundete er sich mit Exilargentiniern wie Copi oder Fernando Arrabal. Amerika mag ihn das unumstößliche Gesetz des Showbiz gelehrt haben: Der schlimmste Feind der darstellenden Künste ist nicht etwa die Vulgarität, sondern die tödliche Langeweile.

Savary traf mit seinem Grand Magic Circus in den 1960ern den Nerv der Zeit. Das Theater besann sich seiner aufklärerischen Funktion. Während die Studenten auf de Gaulles Flics Pflastersteine warfen, setzte der Theatermagier pompöse Spektakel in Szene.

Das bildungsferne Publikum wurde animiert und gekitzelt. Savary ließ wahre Feuerwerke abbrennen: die sprichwörtlichen wie die in echt gezündeten. Er selbst drängte als Conférencier auf die Bühne. In seinem frivolen Bilderkosmos war Platz für Robinson Crusoe und Tarzan, für Mao, Moses und Sigmund Freud.

Als Ivan Nagel den liederlichen Spielmann 1979 an das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg verpflichtete ("Leonce und Lena"), war Savary auf dem Parnass angekommen. Der Clown war reif für die Staatsbühnen. Über die Umwege von Montpellier und Lyon eroberte Savary die französische Hauptstadt, wo er das Nationaltheater Chaillot, ab 2000 bis zu seiner Pensionierung 2007 die Opéra Comique leitete.

In Österreich, wo die Erinnerung an das Wiener Vorstadttheater wie ein unerledigter Traumrest weiterwirkt, war Savary in seinem Element. Seine Operninszenierungen halfen mit, die Bregenzer Seebühne als Spielort zu etablieren. Obwohl selbst ein strikter Aufklärer, überließ Savary seinem Publikum kaum jemals die Arbeit, die gezeigten Verhältnisse auch auf den Begriff zu bringen.

Seine Zauberflöte, seine Carmen hat man ihrer luxuriösen Schauwerte wegen im Gedächtnis behalten. Der Genießer seiner Theaterkunst durfte sich für den Reiz betörend langer Damenbeine (Ute Lemper in "Cabaret") nicht zu schade sein. Aber auch die Frivolität seiner Inszenierungen gehorchte dem Imperativ, durch Zerstreuung und Ablenkung zu höherer Einsicht zu verhelfen.

Jérôme Savary, der in den vergangenen Jahren dreimal Ferdinand Raimund in der Sommerarena Baden inszenierte, ist jetzt 70-jährig einem Krebsleiden erlegen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 6.3.2013)