Wien - Wie wirklich ist die Theaterwirklichkeit? Fragen wie diese schienen Jean-François Sivadier zu beschäftigen, als er Verdis La Traviata für das Festival d'Aix-en-Provence in Szene setzte und dann für die Staatsoper adaptierte. Dass da in irgendeiner Form Theater gespielt wird, lässt sich zwar erkennen. Ansonsten blieb diese Idee schon bei der Premiere 2011 ein wenig in der Luft hängen.

Und auch jetzt, mit zwei Debüts in den Hauptpartien, kommt es sehr stark auf die individuellen darstellerischen Fähigkeiten an, was da als Sein und Schein über die Bühne kommt. Violetta setzt in dieser Produktion das Geschehen erst in Gang, Marlis Petersen trägt es den ganzen Abend lang, ohne es jemals an Intensität und Glaubhaftigkeit fehlen zu lassen.

Sie ist eine Singschauspielerin ersten Ranges, die es nicht nötig hat, sich an überkommenen Vorstellungen von einer Figur abzuarbeiten. Dramatik entsteht bei ihr zuweilen gerade aus Zurücknahme, ihre große stimmliche Stärke in den Koloraturen setzt sie oft wie beiläufig ein, weiß mit ihren Kräften stets hauszuhalten und sie insbesondere für lyrische Kostbarkeiten zu bündeln.

Über Rolando Villazón lässt sich das leider nicht behaupten: Schauspielerisch bewegt sich sein pathetisch übertriebener Alfredo oft hart an der Grenze zu unfreiwilliger Komik; stimmlich agiert er meist in der akuten Gefahrenzone. Unangestrengt geht da praktisch nichts mehr. Bis auf ein paar rücksichtslose Buhrufer (mitten im Stück) liebt ihn sein Publikum aber nach wie vor ohne Vorbehalt.

Ihn und das gut aufgestellte Ensemble (unter anderem mit dem profunden Fabio Capitanucci als Vater Germont) führt der verlässliche Paolo Carignani durch die orchestralen Gefühlswogen, auch wenn sich die hauseigene Vibrato-Neigung da und dort etwas zurücknehmen hätte lassen.  (Daniel Ender, DER STANDARD, 11.3.2013)