"Ich bin ein absoluter Fan des freien Marktes, sehe aber auch, dass man ihn manchmal einzäunen muss."

Foto: derstandard.at

"Ich kann nur hoffen, dass Hans Peter Haselsteiner das Projekt unterstützen wird, weil keine andere liberale Partei antreten wird." 

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"Die Diskussion über die Gesamtschule hat Österreich in der Entwicklung der Bildungspolitik um drei Jahrzehnte zurückgeworfen."

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"Es braucht eine ganzheitlich liberale Partei", sagt Claudia Gamon, stellvertretende Vorsitzende der Jungen Liberalen (Julis) und Mitglied von Neos - Das neue Österreich. Sie zeigt sich überzeugt, dass die Neos den Einzug ins Parlament schaffen werden. Warum sie sich beim gemeinsamen Abendessen von Frank Stronach berieselt gefühlt hat und seiner Politik nichts abgewinnen kann, weshalb sie hofft, dass Hans Peter Haselsteiner die Neos finanziell unterstützen wird, und warum sie sich gegen Kirchenprivilegien einsetzt, erzählt sie im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Sie haben sich in einem Interview mit derStandard.at vor zwei Jahren eine liberale Partei im Nationalrat gewünscht. Jetzt unterstützen Sie die Neos. Ist es die Bewegung, die Sie wollten?

Gamon: Das Bild einer Wunschpartei erreicht man selten. Aber es kommt schon sehr nahe heran. Wir bringen uns seit Mai 2012 ein, im Herbst haben wir offiziell beschlossen, als Julis die Neos zu unterstützen.

derStandard.at: Was fehlt den Neos noch?

Gamon: Als Julis würden wir uns natürlich wünschen, dass die Partei zu hundert Prozent unser Programm vertritt. Das ist aber auch unrealistisch, weil viele unserer Forderungen ziemlich radikal sind. So ist wahrscheinlich unsere Wählerbasis breiter.

derStandard.at: Welche Themen sind das, wo Sie anderer Meinung sind?

Gamon: Von der Denkweise und der Richtung gehen wir hundert Prozent konform. Aber wir sind radikaler ausgerichtet, wir fordern beispielsweise anders als die Neos eine Flattax und Liberalisierung in vielen anderen Bereichen.

derStandard.at: LIF-Chefin Angelika Mlinar sagt, dass bei der Homo-Ehe die Neos konservativer sind. Ist das zutreffend?

Gamon: Das würde ich nicht sagen. Es steht im Neos-Programm, dass homosexuelle Partnerschaften rechtlich gleichgestellt werden sollen, inklusive Adoption. Das würde ich nicht als konservativ bezeichnen. Wir Julis sehen das anders und halten das Konzept der staatlichen Ehe und Partnerschaft für reformierbar.

derStandard.at: Inwiefern?

Gamon: Unser Konzept heißt Verantwortungsgemeinschaft. Dabei geht es um die Übernahme von Verantwortung für einen Menschen, egal ob sie miteinander verwandt sind oder eine sexuelle Beziehung zueinander haben oder wie viele Personen in dieser Gemeinschaft sind. Das deckt derzeit kein rechtliches Konzept ab. Wir sind der Meinung, dass ein liberales, modernes Familienbild weder mit der Ehe noch mit der eingetragenen Partnerschaft wirklich repräsentiert werden kann und dass es hier wirklich neue Formen geben soll. Wir wollen damit Menschen unterstützen, die bereit sind, füreinander Verantwortung zu übernehmen.

derStandard.at: Die Neos wollen auch ÖVP-Wähler ansprechen. Die werden von Ihrer Einschätzung der Ehe nicht sehr begeistert sein.

Gamon: Was Neos-Mitglieder ausmacht, ist eine Einstellung zu Politik. Es geht darum, dass man bereit ist, alte Konzepte zu hinterfragen, auch seine eigene Meinung. Wir haben bei Neos beispielsweise lange über das Adoptionsrecht für Homosexuelle diskutiert, und das Ergebnis ist eindeutig: Wir fordern hier vollkommene Gleichstellung. Es ist das generelle Verständnis, auf dem Neos aufbaut, dass man bereit ist, Fakten anzuerkennen, anstatt sich der Realität zu verweigern.

derStandard.at: Wie schätzen Sie die Chancen ein, den Einzug in den Nationalrat zu schaffen?

Gamon: Sehr hoch. Es braucht die ganzheitliche liberale Partei, das hat dem LIF immer gefehlt. Die Partei darf nicht nur wirtschaftsliberal oder gesellschaftsliberal sein, sondern muss alle Flügel von linksliberal bis libertär vereinen können, sonst wird sie nicht erfolgreich sein. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Bogen spannen können und ein breiteres Wählerspektrum ansprechen.

derStandard.at: Warum ist es so schwer, in Österreich mit liberaler Politik zu punkten?

Gamon: Das ist historisch bedingt. Wir haben drei politische Lager, eines davon ist rechtspopulistisch. Wir hatten im Vergleich zu Deutschland einfach Pech. Neos passt nicht als neue liberale Partei in dieses Spektrum hinein, sondern ist für mich sogar ein viertes Lager. Das ist transparente Politik mit demokratischen Strukturen, und das ist meiner Meinung nach der Liberalismus.

derStandard.at: Momentan sieht es so aus, als könne Frank Stronach ein viertes Lager auf die Beine stellen.

Gamon: Nein, der gehört eher ins dritte Lager.

derStandard.at: Ist Frank Stronach eigentlich jemals auf die Julis zugekommen, um Ihnen ein Angebot zu machen?

Gamon: Er ist einmal auf uns zugekommen, er hat mich und unseren Bundesvorsitzenden Niki Scherak zum Abendessen eingeladen.

derStandard.at: Was wurde dabei besprochen?

Gamon: Es war ein sehr einseitiges Gespräch, wir haben uns eher berieselt gefühlt. Es ging ihm nur darum, seine Mission zu verbreiten und möglicherweise Mitstreiter zu finden. Abgesehen davon, dass es immer die gleichen fünf Sätze waren, ist uns relativ schnell klargeworden, dass wir mit der Europa-Einstellung von Stronach nicht können. Ich habe auch nichts dagegen, wenn jemand sein eigenes Geld in eine Partei steckt, das ist besser als das absurde Parteienfinanzierungssystem in Österreich. Aber es geht nicht, wenn man sich Politik kauft.

derStandard.at: Auch Hans Peter Haselsteiner soll wieder mitmischen. Zuerst hieß es, er werde den Wahlkampf finanzieren, zuletzt sagte er, er könne sich 100.000 Euro als Spende vorstellen. Mit wie viel Geld von Haselsteiner rechnen Sie?

Gamon: Über den aktuellen Stand weiß ich nicht Bescheid. Ich weiß nur, dass sich Matthias Strolz mit Haselsteiner getroffen hat, das ist aber schon Monate her. Neos hat schon seit Monaten Menschen angesprochen, die schon in Politik investiert haben, und da war Haselsteiner dabei. Ich kann nur hoffen, dass er das Projekt unterstützen wird, weil keine andere liberale Partei antreten wird.

derStandard.at: Haben die Neos denn überhaupt genug Geld, wenn er sich nicht beteiligt?

Gamon: Es gibt auch andere Leute, die in Politik investieren. Wir haben bis jetzt 200.000 Euro aufgestellt, was sonst keiner Parteineugründung gelungen ist, bevor überhaupt ein Wahlkampf angefangen hat. Das ist ein Erfolg im Crowdfunding.

derStandard.at: Sie bezeichnen sich selbst als neoliberal. Wie definieren Sie Neoliberalismus?

Gamon: Ich bin ein absoluter Fan des freien Marktes, sehe aber auch, dass man ihn manchmal einzäunen muss, um beispielweise Minderheiten zu schützen, um überhaupt einen fairen Konkurrenzkampf zu garantieren. Das Wichtigste ist fairer Wettbewerb in einem Markt und dass sich keine Kartelle bilden. Da muss man eingreifen, aber es geht nicht darum, den Markt zu behindern, sondern die viel gelobten freien Kräfte des Marktes wirken zu lassen.

derStandard.at: Sie sind auch dafür, dass der Staat unter 18-Jährigen hormonelle Verhütungsmittel zahlen soll. Ist das nicht ein Eingriff des Staates in die Privatsphäre, spricht das nicht gegen die liberalen Prinzipien?

Gamon: Zuerst einmal muss ich klarstellen, dass das meine persönliche Meinung ist und von der Mehrheit der Julis wohl nicht geteilt wird. So, wie das in Österreich praktiziert wird, nehmen wir vielen jungen Mädchen ihre Freiheit, so zu leben, wie sie es wollen. Natürlich braucht es auch Eigenverantwortung, aber viele haben gar nicht die Möglichkeit, hormonell zu verhüten, weil man bis zu einem gewissen Alter die Zustimmung der Eltern braucht. Ich halte es für durchaus wichtig, jungen Mädchen die Möglichkeit zu geben, eigenverantwortlich für ihren Körper handeln zu können, und das geht nur dann, wenn die Verhütungsmittel rezeptfrei sind und von der Krankenkassa bezahlt werden. Was man verhindern sollte, ist, dass junge Mädchen gezwungen sind, eine Abtreibungsklinik aufzusuchen.

derStandard.at: Die Neos schlagen die Einführung einer Mittleren Reife vor. Ist das durch die Bildungsstandards, die in der achten Schulstufe abgeprüft werden, nicht obsolet geworden?

Gamon: Das finde ich nicht. Die Mittlere Reife mit 15 soll ein ganz neues Konzept darstellen. Die Bildungsstandards, die jetzt eingeführt wurden, sind nicht die, die man haben wollte. Das Konzept der Mittleren Reife ist so und so nicht mit diesen zu vergleichen, da es in unser ganzheitliches Bildungskonzept hineinpasst.

Wir stellen uns noch ganz andere Reformen vor, ohne die es gar keinen Sinn macht, die Mittlere Reife einzuführen. Wir sehen sie als Teil unseres Konzepts der Schulautonomie. Wir wollen den Schulen mehr Freiheit geben, den Unterricht so auszugestalten, wie sie es gerne möchten. Wir wollen einen Wettbewerb der pädagogischen Konzepte, der im österreichischen Schulwesen nicht möglich ist, da der Lehrplan von oben vorgegeben wird. Davon divergierende Konzepte werden eher diskriminiert, siehe Montessori-Schulen und ähnliche.

Wenn man möchte, dass Schulautonomie funktioniert, dass der Wettbewerb der Schulkonzepte funktioniert, muss man auch Standards einführen. Es gehören Überprüfungen dazu, die jedes Jahr stattfinden. Die Mittlere Reife ist ein wichtiger Punkt, damit das überhaupt funktioniert.

derStandard.at: Sind Sie für die Einführung einer Gesamtschule?

Gamon: Wir sind für etwas ganz anderes. Wir sind natürlich dafür, dass die Laufbahnentscheidung nicht schon mit zehn, sondern erst mit 15 stattfindet. Die Idee des Neos-Bildungskonzepts ist aber, dass man von der ewig langen Diskussion Gesamtschule oder Gymnasium wegkommt und einen dritten Weg findet, und das ist die Schulautonomie. Die Diskussion über die Gesamtschule hat Österreich in der Entwicklung der Bildungspolitik um drei Jahrzehnte zurückgeworfen.

derStandard.at: Sie engagieren sich nicht nur bei den Neos, sondern auch beim Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien. Was kritisieren Sie an der katholischen Kirche?

Gamon: An der katholischen Kirche habe ich nichts zu kritisieren, das ist ein Verein, der machen soll, was er will. Was ich kritisiere, ist die Beziehung des Staates zur Kirche. Ich maße mir gar nicht an, Reformvorschläge für die Kirche zu bringen. Was man aber sehr wohl vorschlagen kann, ist, dass man das Konkordat, wenn es nicht sofort abgeschafft wird, zumindest neu verhandelt. Jene Dinge, die jedem vernünftigen Menschen widersprüchlich erscheinen, wie die steuerliche Absetzbarkeit des Kirchenbeitrags und die Befreiung von der Grundsteuer für kirchliche Gebäude, sollten sofort hinterfragt und hoffentlich auch abgeschafft werden.

Das Anti-Kirchenprivilegien-Volksbegehren will ein Bewusstsein schaffen, dass diese Privilegien in dieser Form existieren. Viele wissen das nicht.

derStandard.at: Wie viele Unterschriften erwarten Sie sich?

Gamon: Ich würde sagen, 100.000, sonst ist es nicht erfolgreich gewesen. (Marie-Theres Egyed/Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 14.3.2013)