Begegnungen in der Düsternis: Michael Schade (als Florestan) und Juliane Banse (als Fidelio/Leonore).

Foto: Herwig Prammer

Wien - Immer ein abenteuerpralles Vergnügen, die Ergebnisse von Nikolaus Harnoncourts Notenerforschung im Praxistest zu erleben. Das war bei der Salzburger Zauberflöte so, wenngleich die Felsenreitschule etwas zu groß für den ungetrübten Transport mancher Ideendetails wirkte. Das war nun auch im Theater an der Wien bei Ludwig van Beethovens Fidelio so, wobei die räumlichen Dimensionen das quasi kammermusikalische Konzept nun akustisch zweifellos unterstützten.

Harnoncourt ist hier ein Advokat der starken Kontraste mit sinnhafter Anbindung an szenische Abläufe. Wie er zu Beginn des zweiten Aktes das instrumentale Geschehen drosselt, die Akkorde so nah an die Stille heranführt, dass die bedrückende Isolation des eingekerkerten Florestan hörbar wird, weist ihn als - mit Musikmitteln arbeitenden - wahren Regisseur dieser Produktion aus.

Wobei: In dieser düsteren Kerkerszene hat auch die Arbeit von Josefstadt-Direktor und Neoopernregisseur Herbert Föttinger ihren substanzvollen Auftritt. In Dunkelheit gehüllt, beginnt Michael Schade zu singen - subtiler ist eine seelische Grenzsituation nicht darzustellen.

Und: Wenn sich Schade dann fragil ins Licht begibt, erlebt man dank seiner Intensität den Zusammenbruch einer schutzlosen Existenz ganz unmittelbar. In dieser räumlichen Enge wird auch die verzweifelte Zärtlichkeit, mit der sich Leonore an den nun an Ketten baumelnden Florestan klammert, zu einer Quelle kammerspielartiger Dichte.

Auf dem Tisch tanzen

Solch intimer Reduktionismus bleibt allerdings die Ausnahme in einer letztlich behäbig zwischen kühl-grauen Wänden (das Bühnenbild stammt vom verstorbenen Rolf Langenfass) ablaufenden Erzählung von Aufopferung, Angst und Repression. Es darf zwar Marzelline (angenehm leichter Sopran mit ein paar Problemchen in der Tiefe: Anna Prohaska) vor Verliebtheitsglück auf Tischen tanzen und mit Gefängnisakten herumwerfen.

Und eine gewisse szenische Munterkeit versprüht immerhin auch die Hochzeitsanbahnung zwischen Fidelio/Leonore und Marzelline. Durch ihren Vater, Kerkermeister Rocco (sehr kultiviert Lars Woldt), bewerkstelligt, mündet die Szene in ein Gruppenfoto. Hatte immerhin eine gewisse Ironie.

Überwiegend ist jedoch plakative Vermittlung eines repressiven Systems angesagt, Rampensingen vor düster Uniformierten auch oder hilfloses Fuchteln mit dem Messer, wenn etwa Gouverneur Don Pizarro (vokal nobel und profund Martin Gantner) sich anschickt, Florestan zu bedrohen. Und wenn dann am Schluss der Chor in obligater Konzertabendkleidung im gleißenden Licht vor Notenständern erscheint, hat man eher den Eindruck, die Regieskepsis gegenüber dem Opernfinale würde mehr durch szenische Ratlosigkeit ausgedrückt als durch bewusste Gestaltung. Dass Minister Don Fernando (stimmlich leider nicht auf der Höhe der Rolle: Garry Magee) dabei als Beethoven verkleidet auftritt, verleiht dem Finale auch einen unschönen Hauch unfreiwilliger Komik.

Hier ist Harnoncourt mit eher gedämpften Tempi unterwegs, was die Tektonik der Gesänge auf die Probe stellt. Insgesamt jedoch fasziniert sein Ansatz als vielschichtige Absage an einen harmlosen Mittelweg. Wie pointiert die Streicher Akzente setzen, um im nächsten Augenblick die Szene behutsam zu umgarnen; wie grell und wuchtig das dramatische Element evoziert wird - das vermittelt Musizieren als bewusstes Ausreizen von Möglichkeiten im Sinne des Auszudrückenden.

Auch das vokale Konzept darf (in diesem Raum) als geglückt bezeichnet werden. Der Schönberg-Chor ist bei seinem Gefangenenauftritt zwar zu weit weg postiert, um mit angstvollem Hauchen durchzudringen, sonst aber souverän. Juliane Banse (als Leonore/ Fidelio) wiederum verfügt über Technik und Energie, um ihre Partie klanglich mitunter metallisch, aber glaubhaft umzusetzen. Und auch Michael Schade (als Florestan) schafft es, sein edles Timbre mit Dramatik anzureichern, ohne seine Klangqualität einzubüßen.

Kein perfekter Abend, bei dem das Heikle der Blechbläser hörbar wurde. Aber ein Abend voll eindringlicher, überraschender Momente. Für Harnoncourt und die Sänger gab es Applaus. Die Regie durfte einige Buhwatschen hinnehmen. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 19.3.2013)