Kein Blick auf Alphatiere, sondern auf die Hipster der Internetgesellschaft: Deborah Hazlers Helden in "Anthropology of Man" lassen gegen den Lohn der Aufmerksamkeit rasch die Hosen fallen.

Foto: manuela fiala

Wien - Einer Gesellschaft, die mit sich selbst nicht fertig wird, weil sich zu viele Bedingungen zu rasch verändern, setzt die junge zeitgenössische Choreografie derzeit Verweigerung und Kontrollverzicht entgegen. Das jedenfalls ist - auch - dem noch bis Freitag im Brut-Theater laufenden Festival Imagetanz zu entnehmen.

Der französische Sound-, Video- und Radiokünstler, Performer und Sänger Gérald Kurdian beispielsweise choreografiert in seiner One-Man-Show 1999 ein Science-Fiction-Chaos. Er verheddert sich in Kabeln, verwackelt Videobilder und lässt sich von der Tücke der Technik narren. Doch mit der Zeit stellt sich heraus, dass Kurdian als Virtuose des improvisierten Beinahe-Unfalls nahe am Slapstick operiert.

Dabei amputiert er der Science-Fiction ihre Martialität und verwüstet die Logik jeglicher Dramaturgie. Am Ende zeigt Kurdian, wie es ist, wenn man sich bei der eigenen Verführbarkeit durch ergreifende Geschichten oder Songs erwischt. Denn was sich im Gesang nach geheimnisvollen Lyrics anhört, wird als sinnfreies Kauderwelsch geoutet.

Weniger souverän tritt Simon Mayer in seinem von Andrea Simeon, Pascal Holper und einem Mr. Incognito unterstützten Solo Monkeymind als Mann ohne Nerven auf. In einer sorgfältig zusammengebauten Welt aus sehr großen bis ganz kleinen Schachteln, die allerlei Überraschungen enthalten, hampelt ein verhemmter und quirliger Nerd. Einer, der so voller Ansprüche und Anliegen zu sein scheint, dass er am Ende nichts hervorzubringen vermag, das von irgendeinem Belang ist.

Was auch immer dieser Nerd in Angriff nimmt, es wird bald wieder unterbrochen. Nichts kann seine Aufmerksamkeit halten. Monkeymind ist das Porträt einer Generation von jungen Leuten, deren rasantes Leben ohne Fokus im Sand zu verlaufen droht. Ähnlich kommt auch die Substitute Show von Radek Hewelt daher. Ebenfalls eine Soloarbeit, aber eine, in der sich, was Kurdian und Mayer als Witz darbieten, wie ein Bekenntnis abspielt. Hewelt, der mit 40 kein Jungspund mehr ist, trägt seine Lebensgeschichte vor. Sie beginnt im grauen, kommunistischen Polen der 1980er-Jahre und bewegt sich nun in einem von seiner Krise dominierten, aggressiven Kapitalismus. So provozierend das auch sein mag, auf einen bissigen Standpunkt lässt sich Hewelt nicht ein.

In der Präsentation dieser Ambivalenz ist Imagetanz insgesamt konsequent - bis hin zur Radikalität. Angesichts der Übermacht von ökonomischen Zerstörungskräften und einem halben Jahrhundert folgenloser Kritik daran hat eine junge Künstlergeneration ihren Glauben an die Wirksamkeit engagierter Kunst verloren. Reflektiert reagiert sie trotzdem: mit ironischen Ausweichmanövern.

Deborah Hazler etwa arbeitet sich in ihrem Stück Anthropology of Man nicht an den Alphatieren eines maroden Patriarchats ab, sondern an fiktiven Existenzen an den Peripherien der Internetgesellschaft. Ihre Helden lassen für jedes bisschen Identität und Aufmerksamkeit die Hosen herunter. So beleuchtet sie jenen Menschentyp Mann, der mit sich selbst eine "geschlossene Gesellschaft" bildet.

Gegen Do-it-yourself-Diktate

Eine Anspielung an Genderdiskurse machen auch Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer mit ihrem Duett Never Name the Shelf. In Blaumann-Latzhosen gekleidet, bauen sie ein Regal aus vorgefertigten Einzelteilen zusammen und benennen dabei mit militärischer Präzision jede einzelne Bewegung. Und Margrét Sara Gudjónsdóttir lässt in Variations of Closer drei Grazien als sich schleichend bewegende Untote auftreten, die ihr Publikum mit starren Blicken zu bannen suchen.

Während bei den von Männern bei Imagetanz präsentierten Arbeiten eine existenzielle Verwirrung dominiert, regiert bei den Stücken der Autorinnen das auf die Gesellschaft gerichtete Unheimliche: der Geschlechterkampf vor seiner Implosion, die komische Normiertheit des " do it yourself" und die Blockade menschlicher Nähe.

Der Grundtenor bei all diesen Werken, so verspielt und aggressionsfrei sie auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, ist beinhart. Mit einer so vertrackten und vergeigten Realität, wie sie die Politik der Gegenwart herstellt, wollen diese Künstler nichts mehr zu tun haben. Punkt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 20.3.2013)