In Marokko gelten die Flüchtlinge automatisch als Verbrecher, trotzdem können die meisten den letzten afrikanischen Halt vor Europa nicht verlassen. Sie hausen in Höhlen und Wäldern im Norden des Landes und werden immer wieder Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Können sich die lokalen Behörden nicht mehr helfen, bringen sie die Flüchtlinge ins Niemandsland an die algerische Grenze und überlassen sie sich selbst.

Viele der Flüchtlinge aus sub-saharischen Regionen Afrikas sitzen vor allem wegen der strengen Kontrollen an den Außengrenzen der Europäischen Union in Marokko fest. Eigentlich sollte von dort die Überfahrt nach Europa starten. Viele versuchen auch in die spanische Exklave Ceuta, die wie eine Festung gesichert ist, zu gelangen.

Foto: Anna Surinyach/MSF

Zwischen 2010 und Juni 2012 hatte die Zahl der Flüchtlinge, die nach Marokko kamen, abgenommen. Seit damals steigt sie aber wieder an. Die Gründe sind unklar. Es könnte sein, dass wieder mehr Menschen nach Marokko flüchten, aber auch, dass mehr Menschen aus Europa in das Land zurückgeschickt werden.

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Viele der gestrandeten Flüchtlinge hausen in den Wäldern und Höhlen rund um Nador und Oujda im Norden Marokkos. Die Menschen stammen überwiegend aus Westafrika und sind aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen geflüchtet, wird in einem Bericht von Ärzte ohne Grenzen dokumentiert. Viele von ihnen wurden auch bereits Opfer von Menschenhandel und Gewalt. Laut einer Befragung von 190 Flüchtlingen befinden sich rund 20 Prozent von ihnen bereits seit über sechs Monaten in Marokko.

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Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass sie während ihrer Flucht bereits Zeugen von Gewalt geworden sind - 43 Prozent davon wurden selbst Opfer von Übergriffen.

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Laut marokkanischem Gesetz sind Personen, die sich ohne offizielle Papiere im Land aufhalten, automatisch Verbrecher. Dadurch vermeiden es viele Flüchtlinge, sich an Behörden und Sicherheitskräfte zu wenden, wenn sie Opfer von Gewalt werden. Die Angst verhaftet zu werden lässt sie meist schweigen.

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Die Illegalität macht es ihnen zudem unmöglich, eine Arbeit zu finden und Zugang zu Bildung zu erhalten. Dadurch sind viele Flüchtlinge gezwungen, in den großen Städten zu betteln oder in der Prostitution zu arbeiten.

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Immer wieder werden die Freiwilligen von Ärzte ohne Grenzen auch mit dem Thema sexuelle Gewalt konfrontiert. In den Jahren 2010 bis 2012 behandelte die Organisation 697 Opfer von Vergewaltigungen oder anderen sexuellen Übergriffen. Die meisten von ihnen sind Frauen. 35 Prozent davon sind zudem Opfer von Menschenhändlern. Drei Viertel aller behandelten Betroffenen berichteten von mehr als einem Zwischenfall, die Hälfte wurde von mehr als einer Person gleichzeitig missbraucht.

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Bei diesen Übergriffen sind die Täter aber meistens nicht Menschenhändler oder Mitglieder des organisierten Verbrechens: Vor allem die marokkanischen Sicherheitskräfte nutzen ihre Macht aus und prügeln, missbrauchen und quälen die Flüchtlinge im Land. 63 Prozent der Befragten gaben an, dass sie verletzt wurden. Immerhin sieben Prozent erzählten, dass ihnen die Verletzungen von der Guardia Civil zugefügt wurden, welche die spanischen Exklave Ceuta im Norden Marokkos bewachen.

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Um das spanische Territorium auf afrikanischem Kontinent zu erreichen, müssen die Flüchtlinge über Zäune und Barrieren klettern. Dabei verletzen sich viel von ihnen zum Teil schwer. Und obwohl das spanische Einwanderungsgesetz vorsieht, dass die aufgegriffenen Personen so schnell wie möglich zum nächsten Polizeirevier gebracht werden und Anspruch auf medizinische Versorgung sowie einen Übersetzer haben, schicken die spanischen Sicherheitskräfte die Flüchtlinge wieder zurück zu den marokkanischen Behörden. Wo sie oft abermals geschlagen und misshandelt werden.

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Die NGO berichtet zudem von nahezu täglichen Razzien der Polizei und des Militärs in Flüchtlingscamps. Dabei sollen die Habseligkeiten der Menschen verbrannt und viele von ihnen verhaftet werden. Weiters sollen die Behörden keine Rücksicht nehmen und auch Schwangere und Minderjährige auf Trucks an die algerische Grenze verschleppen. Dort werden sie dann gezwungen, in das Nachbarland überzutreten.

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Die algerischen Grenzbehörden treiben die Flüchtlinge aber oftmals mit Schüssen in die Luft wieder zurück nach Marokko. Auch in Algerien finden Misshandlungen statt, wie etwa der 16-jährige Denis einem Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen erzählte. Er sei von den algerischen Soldaten immer wieder auf den Kopf getreten und seine Kleidung sei verbrannt worden. Nur mit Unterwäsche bekleidet hätten sie ihn schließlich um vier Uhr morgens wieder laufen gelassen.

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Die Umstände, unter denen die Flüchtlinge hausen, sind laut der NGO schwer gesundheitsschädlich, weil es an angemessenen Unterkunft fehlt. In Marokko können die Temperaturen im Winter unter den Gefrierpunkt sinken und im Sommer auf über 44 Grad ansteigen.

Foto: MSF

Die Hilfsorganisation ist bereits seit 1997 im Land tätig und spezialisierte sich 2003 auf die Unterstützung der sub-saharischen Flüchtlinge. Sie versorgen die Menschen regelmäßig mit Hygiene- und Kochsets sowie mit Wasser und medizinischer Betreuung.

Foto: MSF

Mit ihrem Bericht zur Situation der Flüchtlinge in Marokko will die NGO auf die Gewalt und Menschenrechtsverletzungen im Land aufmerksam machen, sich dabei aber weder in die Politik Marokkos noch Spaniens einmischen. (bbl, derStandard.at, 20.3.2013)

Weiterführende Informationen:

Bericht von Ärzte ohne Grenzen

Interview mit Filmemacherin: "Europa kann sich nicht leisten, sich so abzuschotten" (Oktober 2012)

Spanien räumt Isla de Tierra: Flüchtlinge nach Marokko gebracht (September 2012)

Flüchtlinge schwimmen von Marokko nach Spanien (September 2012)

Foto: Anna Surinyach/MSF