"Land der Lämmer", blutrot - im Linzer Landestheater.

Foto: Christian Brachwitz

Linz - Jene, die es wissen wollten, wussten es: Hitler hatte für Linz einen riesigen Kulturkomplex an der Blumau vorgesehen: u. a. mit Bibliothek, Museum, Konzerthaus und Opernhaus. 2004 wurde in Linz entschieden, an eben dieser Stelle ein Musiktheater zu errichten. Viel Aufsehen um den Ort als stadtplanerischen Wiedergänger gab es nicht. Schließlich waren adäquate Standorte dünn gesät; da wollte sich kaum jemand mit Geschichte belasten, die länger zurückreichte als die ohnehin unendlich scheinende des Musiktheaters.

Diese wenig reflektierte örtliche Überlappung von Vergangenheit und Gegenwart macht das Landestheater im Gedenken an 75 Jahre "Anschluss" und noch der vor der pompös-freudigen Eröffnung des neuen Hauses zum Thema: Zehn Autoren wurden für Land der Lämmer gebeten, über den " Anschluss" zu reflektieren: Ein beklemmendes, mit schwarzem Humor gespicktes Programm, das sich mit Machtverhältnissen und Rechtsextremismus bis in die Gegenwart auseinandersetzt. Franzobel äußert sich in Zischsuppe lustvoll-sarkastisch über Mitläufer im Jahr 1938. Thomas Arzt macht in Mauthausen die Gedanken einzelner Besucher des Gedenkortes hörbar und zeigt damit die Unmöglichkeit auf, sich angesichts eines derart historisierten Gedenkens "richtig" zu verhalten.

Auch Michel Vinaver (geboren 1927) blickt in die nahe Vergangenheit: "Haider ist unter uns" lautet der erste Satz seines Textes, in dem er ebenso den österreichischen Opfermythos thematisiert als auch das Lächeln und den Handschlag kritisiert, mit denen Kanzler Wolfgang Schüssel in der Schweiz nach der Regierungsbildung begrüßt wurde. Robert Schindels Dunkelstein zeigt den Zynismus auf, der ausreisewilligen Juden 1938 entgegenschlug, und Mieze Medusa nennt "Schweigen" schlicht " unverschämt".

Auf der Bühne ein herausragendes Ensemble vor einem weißen Bühnenbild, auf dem sich fein säuberlich gefaltete rote Decken blutähnlich entfalten. Kunst-Uni-Studierende tragen mit Interventionen bei, beziehen mittels Webcam Passanten vor dem Theater ins Geschehen auf der Bühne ein. "Ja, dürfen die denn das?", fragt der Schauspielchef in seiner Presseaussendung und meint deutsche, französische, palästinensisch-amerikanische Autoren, die sich gemeinsam mit österreichischen Kollegen in Land der Lämmer zum "Anschluss" äußern. Die Antwort liefert er mit: Sie müssen. (Wiltrud Hackl, DER STANDARD, 20.3.2013)