Foto: Georges Desrues
Foto: Georges Desrues
Foto: Georges Desrues

Für seinen nach traditioneller Art luftgetrockneten Speck und Schinken verwendet der Gurktaler Fleischhauer Stephan Seiser nur die fettesten Säue der Region.

Foto: Georges Desrues

Seit Jahrhunderten stehen sich nördlich und südlich der Alpen zwei Traditionen der Fleischkonservierung gegenüber. Im Norden wird Schweinernes üblicherweise geräuchert, damit es haltbar wird. Südlich des Alpenhauptkamms hingegen an der Luft getrocknet - ganz ohne Rauch. Wo genau die Grenze verläuft zwischen diesen beiden uralten Konservierungsmethoden, ist nur schwer zu bestimmen: Grenzen lassen sich bekanntlich auch überschreiten, werden bisweilen erweitert, manchmal sogar verschoben.

Der weltberühmte Mumienfund am Similaun hat das samt dem darauffolgenden Streit, ob der älteste uns bekannte alpine Grenzgänger nun südlich oder nördlich der entscheidenden Wasserscheide zwischen Italien und Österreich verendete, hat das noch einmal verdeutlicht. Erheblich erschwert wurde die Grenzziehung dadurch, dass es im Fall des Ötzi weder Feuer noch Luft waren, die sein Fleisch vor Verwesung bewahrten, sondern das Eis.

Sieht man von Südtirol ab, existieren in Italien nur wenige verbriefte Ausnahmefälle in Sachen Konservierung. Einer davon ist der friulanische Ort Sauris, wo seit sehr langer Zeit ein Prosciutto erzeugt wird, den vermutlich deutschsprachige Einwanderer mitbrachten; und der entgegen allen Regeln der italienischen Schinkenmachkunst geräuchert anstatt getrocknet wird. Im Gegenzug dazu existieren auch im Norden vereinzelte, allerdings kaum noch bekannte Inseln der Lufttrocknung.

Seit vier Generationen

Eine ganz wesentliche ist das Gurktal im schönen Kärnten, wo die Grenzen für Durchmischung mit Einflüssen aus dem Süden bekanntlich schon von jeher am durchlässigsten waren. "Seit wann und warum bei uns luftgeselcht wird, kann niemand genau bestimmen", sagt der Fleischer Stephan Seiser, "aber in meiner Familie wird seit vier Generationen so gearbeitet." Seisers Fleischerei im Ort Straßburg ist noch ein typisch dörflicher Betrieb, mit verrauchtem Schankraum im angeschlossenen Wirtshaus und eigenem Schlachthaus hinten im Hof.

Dort hängen die frischen Karkassen der Schweine, die Seiser und sein Vater in Kürze zu Speck verarbeiten werden. "Wir wüssten selbst gern, wann das alles anfing, und suchen nach schriftlichen Aufzeichnungen, die uns helfen könnten, eine geschützte Gebietsbezeichnung von der EU zu erhalten", sagt Seiser auf dem Weg vom Schlachthaus zur Selchkammer.

Überhaupt sei das mit der Gebietsbezeichnung eine leidige Angelegenheit. "Von den zehn Erzeugern im Tal, die luftgeselchten Speck machen, verwendet jeder seine eigene Gewürzmischung, weswegen wir eine Genehmigung für hundert verschiedene Gewürzsorten beantragt haben. Die von der EU wollen natürlich Vereinheitlichung und meinten, wir wären übergeschnappt", sagt Seiser und öffnet die Tür zur Selchkammer, wo Speck in verschiedenen Reifestufen und Ausformungen hängt.

"Wir machen Schinkenspeck, Karreespeck und Bauchspeck. Dazu noch Salami und Kärntner Hauswürstel - alles luftgetrocknet", sagt Seiser und dreht einen Schinken, an dem sich schon eine dicke Schicht Edelschimmel gebildet hat. Natürlich müsse man darauf achten, dass die Luftfeuchtigkeit nicht zu sehr steige, darum habe man in früheren Zeiten auch nur im Winter geselcht, wenn die Temperatur niedriger und die Luft trockener war.

Geschmacksnote und Konsistenz

Bevor sie in die Selchkammer kommen, müssen Speckseiten und Schinken je nach Durchmesser für vier bis zehn Wochen eingerieben in Salz verbringen, sagt Seiser, der ausschließlich mit Tieren aus dem Gurktal arbeitet und die größten, schwersten, und fettesten Exemplare bevorzugt. "Sehen Sie das hier", sagt er und deutet auf eine imposante, elfenbeinfette Speckseite, "das war eine 300-Kilo-Sau. Aber selbst bei uns findet man so etwas leider nur noch selten."

Dass der Gurktaler Luftgeselchte geschmacklich deutlich komplexer ist als seine geräucherten Kameraden, dass sein Fett süßer und sein Schmelz zarter ist, liegt wohl in der Natur der Sache. "Natürlich übertüncht der Rauch einiges an Geschmacksnoten und verändert die Konsistenz", sagt Seiser.

Dann holt er ein Stück schneeweißen Speck hervor und schneidet ihn in hauchdünne Scheibchen. Lardo? "Wenn Sie so wollen. Mein Vater nannte es noch 'eingesalzenen Rückenspeck', das wollte aber keiner. Ich nenne es Gurktaler Lardo - und jetzt verkauft er sich." Auch gut - aber nur, solange er den echten Luftgeselchten nicht umtauft auf Gurktaler Prosciutto. (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 5.4.2013)