Regisseur Dietrich W. Hilsdorf: "Modern? Ich weiß überhaupt nicht, was das heißt." 

Foto: Thilo Beu

Wien - Oft werde er für einen Bühnenarbeiter gehalten, erzählt Dietrich W. Hilsdorf. Doch das passt eigentlich gar nicht so schlecht zur Selbstsicht des Regisseurs: "Ich sehe mich eher als Handwerker und weniger als Künstler, eher als Trainer von Künstlern - allerdings als Trainer mit einem hohen künstlerischen Anspruch."

Über 100 Inszenierungen aus den Bereichen Theater, Musical, Operette und Oper hat der Deutsche, Jahrgang 1948, schon realisiert, vor allem in seiner Heimat, punktuell im Ausland - wie etwa in Wien: "Vor zwölf Jahren habe ich schon einmal hier gearbeitet, für Jekyll and Hyde im Theater an der Wien, und habe es sehr genossen, über Wochen da zu arbeiten."

Die Einladung an die Volksoper Wien kam ihm, wie er sagt, "eher überraschend ins Haus geflattert: Man wollte offenbar einen Wildschütz machen, ihn aber nicht selbst produzieren. Das hatte wohl mit Engpässen in der Auslastung der Werkstätten zu tun."

Anspruchsvoller als Mozart

Ausgewählt wurde Hilsdorfs Arbeit aus Chemnitz und Bonn, die einem Herzensanliegen des Regisseurs entsprang: "Sonst arbeitet man ja meistens auf Auftrag. Diesmal hatte man in Chemnitz noch ein Stück frei, und ich konnte es mir selbst aussuchen. Diese Oper wollte ich schon immer machen: Es gibt in ihr sehr gute Menschenbeschreibungen, pointierte Situationen, eine anspruchsvolle Musik - viel komplizierter und anspruchsvoller, als es Mozart manchmal ist."

Leicht zu realisieren ist das Werk freilich nicht: "Wenn das wirklich swingen soll, muss man sehr genau und mit einem gewissen Groove spielen. Dann können auch moderne, junge Leute von heute mitschwingen." Über den Komponisten könnte Hilsdorf stundenlang referieren, wobei ihn besonders die politische Dimension interessiert:

"Lortzing ist jemand, bei dem man das Umfeld immer mitbedenken muss. Er benutzt Wörter wie ,Kapitalist' oder ,Moos' für Geld. Er denkt in seiner Zeit durchaus politisch. Auch im Wildschütz gibt es eine große soziale Reibung, wenn der reiche Mann dem armen Mann seine Frau abkauft. Um 5000 Taler - das würde heute einem Wert von 150.000 Euro entsprechen." Querverbindungen in alle Richtungen zeigt der Regisseur besonders gerne auf: Einer Aufführung der Entführung aus dem Serail zum 250. Geburtstag von Mozart im Jahr 2006 in Leipzig gab er den Untertitel Szenen aus dem besetzten Wien. Und der Wildschütz erhielt den Zusatz Ein unmoralisches Angebot, da die Oper ganz ähnlich funktioniere wie der gleichnamige Film: "Die Menschen lassen sich auf diesen Handel ein, möchten etwas rauskriegen - und bekommen am Ende etwas über sich selbst heraus."

Die Frage nach seinem Zugang hat Hilsdorf, der in Deutschland einen Imagewechsel vom Provokateur zum Ästheten hinter sich hat, schon unzählige Male gehört: "Die Leute fragen mich immer: Hilsdorf, wie machen Sie's denn: schön oder modern? Ich weiß überhaupt nicht, was das heißt. Bei einer modernen Oper, wenn sie gut ist, muss der Regisseur gar nicht viel eingreifen; bei einem alten Stück eher. Ich mag es aber nicht, wenn es ,modern' gemacht wird. Mozart habe ich etwa immer in seiner Zeit gelassen; die Kostüme und Bühnenräume sind immer aus dem späten 18. Jahrhundert."

Auch der Wildschütz wird von Hilsdorf und seinem Team im Entstehungsjahr 1842 belassen: "Natürlich muss man immer gewisse Adaptionen vornehmen. Und wir haben ja auch nicht das Budget einer Filmproduktion." Wert legt der Regisseur freilich auf die Feststellung, dass es in seinen Arbeiten schon eine gewisse Bandbreite gibt: "Man muss nicht dieselbe Regiesoße über alles drübergießen. Jedes Stück hat eine andere Struktur, braucht andere Räume und einen anderen Zugang. Ich glaube, dass unser Troubadour (Anm.: Premiere an der Volksoper ist im November) bei weitem die Sehgewohnheiten des Publikums überschreiten wird."

Für den Wildschütz gilt jedenfalls uneingeschränkt: "Ich möchte die Leute nicht erschrecken, wenn der Vorhang aufgeht, sondern sie hineinziehen. Und dann müssen sie schauen, ob wir ihnen eine gute Geschichte erzählen."   (Daniel Ender, DER STANDARD, 20./21.4.2013)