Höchste Authentizität: Elina Garanca als Charlotte.

Foto: Michael Poehn / Wiener Staatsoper

Wien - Damit das Gesamtkunstwerk Oper gelingt, müssen alle seine Facetten zusammenpassen: Bühnenbild und Inszenierung sollten zumindest einen stimmigen Rahmen abgeben, in den dann noch die richtigen Sängerpersönlichkeiten treten, getragen von einem nicht bloß sicheren, sondern inspirierten, inspirierenden Orchester.

Theoretisch. Denn der Idealfall einer völlig gerundeten, in allen Dimensionen schlüssigen Aufführung ist bekanntlich nicht nur im Repertoirebetrieb so selten wie ein Operndirektor, der es allen recht machen kann.

Ein Gros des Auditoriums räumt ohnehin den großen Stimmen oberste Priorität ein. Sein Applaus lässt erkennen, worauf es ihm ankommt und worauf nicht. An zwei Abenden mit einem spielfreudigen Ensemble da und dort wurden Publikumslieblinge gefeiert - mit wenig Rücksicht auf Orchesternachspiele und dergleichen Nebensächlichkeiten.

Würde man darauf beharren, dass Oper nicht nur aus Gesang besteht, könnte man sich freilich schon daran stoßen, dass Puccinis La Bohème an der Staatsoper noch immer so aussieht, als hätten sich hier der Staub und der Muff von Jahrhunderten des Opernbetriebes abgesetzt.

Bei einem in allen Lagen mühelos strahlenden Rodolfo wie Piotr Beczala und einer auch schauspielerisch glänzenden Mimì wie Kristine Opolais verliert dies dennoch an Relevanz. Zumal, wenn ein Dirigent wie Andrís Nelsons für prägnantes Musizieren unter emotionalem Dauerdruck sorgt und das Orchester bei der Sache ist wie bei Festspielen.

Kaum zu glauben, dass tags darauf derselbe Klangkörper im Graben saß. Zumindest die Anfangsphase von Massenets Werther klang eher wie der Sprung in unbekannte Gewässer bei der ersten Leseprobe. Doch dann riss Bertrand de Billy die Zügel an sich, sorgte für einen meist glatten Ablauf und viele glutvolle Momente.

Trotz angestrengten Näselns stand Rollendebütant Roberto Alagna dem um nichts an Intensität nach. Elina Garanca freilich verband ihren souveränen Stimmzauber mit höchster Authentizität, sodass die Glaubwürdigkeit der Bühnenhandlung vollkommen nebensächlich wurde - ebenso wie ein Urteil über die Hübschheit der Dekorationen.

Solange derart tränendrüsentauglich Lebenslichter ausgehaucht werden wie in der 399. Aufführung der Bohème oder in der 44. Aufführung des Werther , beweist die hundertfach totgesagten Gattung jedenfalls ihre Lebensfähigkeit. Trotz alledem. (Daniel Ender, DER STANDARD, 22.4.2013)