Ulrike Kaufmann mit der Haube und dem roten Faden in der Mitte: das Serapions Ensemble in "PaRaDiSo".

Foto: Nick Albert

Wien - Vor exakt 40 Jahren begann die symbiotische Zusammenarbeit von Ulrike Kaufmann und Erwin Piplits. Und vor 25 Jahren eröffneten die beiden Bühnenmagier die ehemalige, im Zweiten Weltkrieg ausgebrannte Getreidebörse in der Taborstraße als Spielstätte für ihr Serapions Theater. Der historistische Saal mit den dominanten Säulenreihen muss für Piplits und Kaufmann so etwas wie ein verlorenes, nun wiedergefundenes Paradies gewesen sein: ein Ort ungeahnter Möglichkeiten.

Ein solches Paradies wird einem geneidet. Obwohl es den beiden Sturschädeln nicht zugefallen ist: Kaufmann und Piplits haben sich das Odeon in mühevoller Arbeit selbst geschaffen. All ihr Geld steckten sie in das Theater. Noch immer sind die Erhaltung und der Betrieb ein Abenteuer.

Wenn Kaufmann und Piplits 25 Jahre Odeon feiern, dann steht natürlich der Raum im Vordergrund. In PaRaDiSo, der 30. Arbeit ihres Serapions Ensembles, ist von ihm zunächst allerdings nicht viel zu spüren: Unmittelbar vor der Tribüne wurde eine an die sechs Meter hohe, scheinbar massive Mauer aus gut 400 Sandsäcken errichtet. Das Paradies muss sich, denkt man, dahinter befinden. Denn im alten Persien nannte man die mauerumgrenzten Jagdreviere so.

Doch plötzlich stürzt die Mauer um. Nein, nicht krachend wie bei The Wall von Pink Floyd, sondern lautlos. Die in düsteren Farben bedruckten Säcke entpuppen sich als federleichte Kissen. Sie bilden nun ein Trümmerfeld, durch das sich eine zierliche Frau, Ulrike Kaufmann, zögerlich ihren Weg bahnt. In Händen hält sie ein rotes Band: den roten Faden, der sich durch die Geschichte des Odeons zieht. Von hinten nähert sich unterdessen das neunköpfige Ensemble. Es erobert sich tanzend, im Kollektiv, mit der Zeit das noch unwirtliche Terrain.

Im Programmheft erklärt Piplits alles ganz genau. Dass die Buchstaben PRDS im Hebräischen das Wort "Pardes" ergeben, "Paradiso" also, und dass diese Konsonanten für das Sein, das Wahrnehmen, das Verstehen und das Ahnen stehen - für vier Aspekte, die grundlegend für das Kunstschaffen seien und in der Arbeit des Serapions Ensembles sichtbar würden. Diese Anregung in eine Inszenierung umzusetzen sei jedoch nicht einfach gewesen, weil es keine Geschichte als Ausgangspunkt gab.

Und trotzdem entwickelt sich eine: Zu einer gewaltigen Musikkulisse, die von Tom Waits (Lucky Day) über Goran Bregovic, Gabriel Fauré bis zu Chorälen, südamerikanischen Volksliedern und viel Trommelmusik reicht, verwandelt sich das düstere Trümmerfeld in ein heiter leuchtendes Odeon.

Vom Tanz her und von den Gesten vermag das Ensemble nicht wirklich zu überraschen. Auch die vielschichtigen Kostüme von Ulrike Kaufmann kennt man. Aber trotzdem gelingt etwas Unglaubliches: Der dichte, lediglich 80 Minuten lange Abend hebt ab wie ein stolzer Schwan. Denn gegen Ende hin macht sich der riesige Prospekt quasi selbstständig: Kurz sackt er in sich zusammen, dann schwebt er als gewaltiger fliegender Teppich über der Szenerie. Und schließlich wird er zum Dach, das dem Ensemble Schutz bietet. Ja, das ist Theater. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 29.4.2013)