Wien - "Die Universität handelt rechtswidrig, wenn ein Studierender sein Studium wegen nicht ausreichender Parallellehrveranstaltungen erst später als vorgesehen beenden kann." Mit diesem Satz fasste der Oberste Gerichtshof (OGH) bereits im Juli 2010 seinen Spruch zu einem Fall zusammen, der nun in einem Urteil endete, das einem ehemaligen Studierenden an der Medizin-Universität Graz Schadenersatz durch die Republik Österreich zuspricht, weil die Uni zu wenige Plätze in Lehrveranstaltungen angeboten hat.

"Vermögensnachteile"

Dem nunmehrigen Arzt müssen alle "Vermögensnachteile" (Lebenshaltungskosten, Studiengebühr, späterer Berufseintritt) ersetzt werden, die durch die Studienverzögerung entstanden sind, entschied der OGH laut einem Urteil, das der Austria Presse Agentur vorliegt. Der Fall geht zurück ins Jahr 2005/06. Der Kläger konnte bestimmte Lehrveranstaltungsmodule des zweiten Studienabschnitts nicht absolvieren, weil die Med-Uni Graz bei Lehrveranstaltungen mit immanentem Prüfungscharakter (der Prüfungsakt findet im Rahmen des Seminars statt, Anwesenheitsnachweise, Mitarbeit etc.) nur 264 Plätze zur Verfügung gestellt hat - und keine Parallel- oder Zusatzangebote. Der Senat des OGH bejahte schon 2010 "ein Recht der Studierenden, dass ihnen bei beschränkten Plätzen keine Verlängerung der Studienzeit erwachse". Er tat das übrigens im Gegensatz zu den Vorinstanzen, die die Klage abgewiesen hatten, etwa mit der Begründung, dass die Republik kein Verschulden an der Studienzeitverzögerung treffe, da es an geeignetem Lehrpersonal für Zusatzseminare gemangelt habe.

Der Oberste Gerichtshof revidierte das nun so: "Mangelnde finanzielle Mittel - und auch allgemeiner Personalmangel - der Universität zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen im Rahmen des Lehrbetriebs könnten die Beklagte (die Republik, Anm.) grundsätzlich schon deshalb nicht entschuldigen, weil sie als zuständiger ... Rechtsträger dazu verpflichtet war, den Unis jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen (auch bei einem Ansteigen der Studierendenzahlen) zu erfüllen."

Der Vorsitzende der Universitätenkonferenz, Rektor Heinrich Schmidinger (Uni Salzburg), sagte in einer ersten persönlichen Reaktion zum Standard: "Das Urteil zeigt das Dilemma der österreichischen Hochschulpolitik zwischen geradezu grenzenlos freiem Hochschulzugang und allem, was eben dazugehört, vor allem an Ansprüchen der Studierenden. Der Ausweg kann nur ein Gesetz über flächendeckende Zugangsregeln und eine Uni-Finanzierung, die an echten Kapazitäten orientiert ist, sein." Zwar stamme der Fall aus einer Zeit, als es noch nicht einmal Ansätze für Studienplatzfinanzierung gab, aber auch jetzt habe die Politik mit dem Testlauf nur den "ersten Schritt" gesetzt. Es sei zu befürchten, dass der Klagsfall "Präzedenzwirkung haben kann und nicht der einzige bleibt", sagt Schmidinger, für den klar ist: "Die Republik ist zu Schadenersatz verpflichtet worden, deshalb liegt es am Bund, und es kann ja auch nur der Bund machen. Das Urteil bringt alle Beteiligten in hoffentlich positiven Zugzwang."

ÖH-Vorsitzender Martin Schott (Flö) sieht im Fall des Mediziners einen " entscheidenden Wendepunkt in der hochschulpolitischen Debatte". Die Studierenden würden die Unis "nach Strich und Faden verklagen", sollten diese bei den Leistungsvereinbarungen nicht auf genug Budget beharren.

Ministerium "analysiert"

Im Wissenschaftsministerium will man das Urteil "genau analysieren", verwies am Montag aber auch darauf, dass ein Fall wie der des Arztes nicht mehr möglich sei, weil es ja seit 2006 Aufnahmetests für Medizin gebe. "Der gesetzliche Rahmen wurde seit dem Anlassfall bereits mehrfach geändert."

Der Bund tue "das Möglichste, um die finanzielle Ausstattung der Unis laufend zu verbessern", hieß es auf Standard-Anfrage mit Verweis auf Hochschulmilliarde, 36 Millionen Euro für neue Professuren und Studienplatzfinanzierungstestlauf. Und seit 2009 gebe es im Uni-Gesetz den Passus, dass "ausreichend zusätzliche Studienangebote" offeriert werden sollen - "nach Maßgabe der budgetären Möglichkeiten". (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 21.5.2013)