Elementarereignis: Jenny (Margareta Klobucar).

Foto: Werner Kmetitsch

Graz - In einer "Erklärung" zu Mahagonny meinte Bertolt Brecht, die Oper habe fast immer Skandale provoziert, gleich wie sie auch inszeniert worden sei. Und abgesehen von "primitiven Missverständnissen" sei das auch richtig so. Denn die Aufregung entspreche "nur dem großen, tiefen und umfassenden Skandal, durch den (das Stück) selbst erzeugt wurde."

Nähme man Brechts Libretto und die um nichts weniger beißende Musik von Kurt Weill beim Wort, dann müsste diese Oper heute gerade so sehr aufrütteln wie bei ihrer Uraufführung 1930. Dass sie den schrankenlosen Kapitalismus zur Kenntlichkeit entstellt, indem sie die Herrschaft des Geldes und die nackte Vergnügungssucht geißelt, provoziert freilich für sich genommen kaum mehr.

Regisseur Calixto Bieito setzt daher in der Koproduktion der Oper Graz mit der Vlaamse Opera Antwerpen/Gent auf drastische Zuspitzung und distanzierende Verfremdung - zwei gegenläufige Strategien, die sich dennoch berühren. Der Schauspieler (Daniel Doujenis) in der Rolle des Erzählers beobachtet nicht nur die Szene, sondern nimmt gemeinsam mit seiner "Tochter" (Teresa Stoiber) Anteil am Geschehen.

Zuvor hat er die Aufführungsbedingungen der Kurt Weill Foundation verlesen, dass etwa dem Stück keine Dialoge hinzugefügt werden dürfen. Also hat man sich mit Monologen und kurzen Einschüben begnügt - einschließlich eines Auftritts des Schauspielers als Banane, an der sich die in anderen Lagen nicht so sattelfeste Witwe Begbick (Fran Lubahn) just während des aufziehenden Hurrikans lüstern reibt.

Auch sonst wird auf diesem barbarischen Campingplatz (Bühnenbild: Rebecca Ringst), der die schnelle Entstehung der Stadt plausibler macht, der monetäre Nihilismus unter exzellenten Orchesterklängen (Dirigent: Julien Salemkour) mit viel Sex und Brutalität beschworen - inklusive Hinrichtung von Jim (Herbert Lippert) auf einem elektrischen Einkaufswagerl, das der Dreieinigkeitsmoses im Kardinalsgewand (David McShane) lustvoll betätigt.

Spielfreudig auch Freund Fatty (Taylan Reinhard) und Jims Holzfällerkollegen Jack (Manuel von Senden), Bill (Ivan Orescanin) und Joe (Konstantin Sfiris). In der Partie der Hure Jenny, die den richtigen Ton zwischen Opernhaftigkeit und Song fordert, ist Margareta Klobucar ein Kaugummi kauendes Elementarereignis. Das Schwanken zwischen Fadesse, vorgespielten Gefühlen und schreiender Verzweiflung verkörpert sie ebenso virtuos, wie sie stimmliche Leichtigkeit mit wohliger Rauheit, Wohlklang mit Askese verbindet.

Das Publikum reagierte auf all dies zustimmend und vergnügt. Wie Brecht ebenfalls einmal festhielt: "Mahagonny ist ein Spaß." Also, wer Geld hat: Karten kaufen!   (Daniel Ender, DER STANDARD, 24.5.2013)