Vassilakou: "Ingrid, du musst mir die ÖVP nicht schmackhaft machen. Ich mag die ganz gerne."

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STANDARD: Wie bürgerlich sind Sie?

Vassilakou: Wie definiert man bürgerlich?

Felipe: Das ist für mich auch immer die Gegenfrage. Was für den einen bürgerlich ist, ist für den anderen progressiv und für den Nächsten sehr konservativ. Daher tu ich mir recht hart zu sagen, wie bürgerlich ich bin. Ich komme aus einem eher bäuerlichen Umfeld, habe als Nichtakademikerinnentochter einen akademischen Abschluss machen können. Ich habe einen Zuwanderer geheiratet, bin mittlerweile alleinerziehende Mutter, habe Karriere gemacht. Das ist nicht unbedingt das, was ich unter bürgerlich verstehe.

Vassilakou: Ich definiere bürgerlich als: artig sein und schön grüßen, Zähne putzen und manierlich sein. Für mich ist bürgerlich keine politische Kategorie.

STANDARD:  Aber das beherrschen Sie doch alles, wenn Sie wollen.

Vassilakou: So gesehen bin ich bürgerlicher als die Ingrid. Wir sind beide meiner Meinung nach adrett und grüßen artig - nur: Ich bin sogar verheiratet.

STANDARD:  Verheiratet sein ist ein Kriterium für Bürgerlichkeit?

Vassilakou: Ich glaube, dass das veraltete Kategorisierungen sind, links und bürgerlich. Das kommt aus den 1970er-Jahren, als die zwei Großparteien alles in ihre Welt einordnen wollten. Die Grünen lassen sich aber nicht einordnen. Die SPÖ sagt, wir sind die Kinder der Bürgerlichen, die Emporkömmlinge. Für die ÖVP sind wir die Links-Linken. In Wahrheit sind beide auf der Suche nach kleinen Nichten und Neffen, was wir nicht sind.

STANDARD:  Gerade Sie gelten als Bürgerschreck, die Grünen im Westen eher als brav und bürgerlich.

Vassilakou: Das kommt von der ÖVP. Die ÖVP versucht alles zu kategorisieren, entsprechend ihren eigenen Kriterien. Dass die Wiener ÖVP keine besondere Freude mit mir hat - ich in der Wiener Regierung, sie selbst nicht -, das liegt auf der Hand. Die Grünen stehen für dieselben Inhalte, egal ob in Wien, Innsbruck oder Stuttgart. Es geht immer um gesellschaftliche Öffnung, um umweltfreundliche Mobilität, um ökologische Mobilität, um Klimaschutz, um qualitätvolle Bildung für alle. Die Grünen sind es, die ganz konsequent an dieser Erneuerung arbeiten.

Felipe: In Tirol ist es umgekehrt die SPÖ, die uns die Zuschreibung bürgerlich verpasst. Das finde ich spannend und kann es hinwegfegen: Wenn man sich unser Regierungsübereinkommen anschaut, kann man sicher viele Dinge finden, bei denen man sagt: Da habt ihr einen Kompromiss gemacht. Aber es gibt gerade in der gesellschaftspolitisch-progressiven Ausrichtung sehr schöne Erfolge. Das fängt mit einem gegenderten Regierungsprogramm an, es gibt ein Demokratiekapitel, das auch eine Öffnung signalisiert. Es gibt das Wort Schwangerschaftsabbruch, das Wort Sexarbeit, im Familienkapitel steht, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht diskriminiert werden dürfen. Das sind Dinge, die die Sozialdemokratie, die behauptet, wir wären die Bürgerlichen, in den vergangenen Jahrzehnten nicht zusammengebracht hat.

STANDARD:  Die Herausforderungen in Wien und Tirol sind für die Grünen doch sehr unterschiedlich.

Felipe: Die Tiroler Grünen wurzeln sehr stark in der Naturschutz- und Umweltbewegung. Wenn man sich Naturschutz anschaut, hat er eine andere Bedeutung bei uns.

Vassilakou: Auch in Wien kommt ein nicht unbeträchtlicher Teil der Grünen aus Bürgerinitiativen, die sich etwa gegen Großprojekte im Verkehrsbereich engagiert haben. Fakt ist, überall, wo Grüne in die Regierung kommen, gibt es Bewegung in Richtung gesellschaftlicher Öffnung.

STANDARD:  Kommen die Grünen nicht automatisch auch in Konflikt mit den Bürgerinitiativen, wenn sie einmal in der Regierung sind? In Wien haben sich die Augartenbesetzer ganz schön alleingelassen gefühlt von den Grünen.

Vassilakou: Es ist kein Konflikt, es ist ein intensiver Dialog. Als Regierungspartei muss man es sich gefallen lassen, kritisiert zu werden. Wenn man sich der Kritik stellt und das Gespräch fortsetzt, dann findet man sich wieder.

Felipe: Für mich ist das ein wichtiges Thema. Zu glauben, weil die Grünen jetzt in der Regierung sind, ist jedes Anliegen der Bürgerinneninitiativen automatisch vertreten, ist der falsche Zugang. Ich appelliere auch an unsere Bürgerinitiativen, ihre Anliegen weiterhin zu vertreten.

STANDARD:  Besteht nicht die Gefahr, dass sich die grüne Basis verraten fühlt, wenn ihre Partei erst in einer Regierungsfunktion ist?

Vassilakou: Jeder weiß: Im Leben kannst du nie 100 Prozent von dem umsetzen, was du gerne würdest. Das Leben besteht daraus, dass man sich mit anderen Menschen einigen muss, um Dinge zu erreichen.

STANDARD:  Sehen das die Wähler auch so?

Vassilakou: Kein Wähler wird annehmen, dass eine Partei, die er wählt, 100 Prozent dessen, was sie will, auch umsetzen kann. Wählerinnen und Wähler bewerten, ob man sich für etwas eingesetzt, dafür gekämpft und wesentliche Veränderungen herbeigeführt hat. Ohne Grüne wäre in Tirol nie Bewegung in die Frage der gemeinsamen Schule gekommen. Ohne Grüne in Wien hätte es die 365-Euro-Jahreskarte nicht gegeben.

STANDARD:  Günther Platter hatte diese zur ÖVP-Linie abweichende Meinung auch vorher schon vertreten.

Vassilakou: Warum hat er es dann nicht schon längst umgesetzt? In der Politik geht es schlussendlich darum, Veränderung anzustreben, glaubwürdig dafür zu kämpfen und diese auch zu erreichen.

STANDARD:  In Tirol gibt es eine Koalition mit der ÖVP. Frau Felipe, können Sie Frau Vassilakou die ÖVP noch schmackhaft machen?

Felipe: Mir erschließt sich nicht, warum ich das machen sollte.

STANDARD:  Vielleicht ergibt sich auch in Wien irgendwann, dass ÖVP und Grüne zusammen regieren könnten.

Felipe: Um das einschätzen zu können, kenne ich die handelnden Personen und Positionen der Wiener ÖVP zu wenig. Ich glaube, dass diese feindselige, sehr persönliche Zuspitzung im Wahlkampf und der Schock am Wahlabend, dass nur 60 Prozent der Tirolerinnen und Tiroler zur Wahl gegangen sind, bei der ÖVP sehr tief sitzen. Das hat bei allen politischen Parteien Nachdenklichkeit bewirkt. Dieses "Wir müssen uns bewegen" war auch bei der ÖVP spürbar und für mich zum Teil sehr überraschend. Vor allem im gesellschaftspolitischen Bereich gibt es jetzt ein glaubwürdiges Bemühen, dass man etwas verändert. Ich ermutige die Opposition auch zur konstruktiven Kritik, daraus kann man auch etwas lernen. Ich glaube, dass diese Dialogfähigkeit die Grünen auszeichnet.

STANDARD:  Gibt es in Wien viel Dialog mit der Opposition, namentlich mit der ÖVP?

Vassilakou: Ich möchte schon vorausschicken: Ingrid, du musst mir die ÖVP nicht schmackhaft machen. Ich mag die ganz gerne. Meine Tür für gemeinsame Projekte und Kooperation ist stets offen - sobald die ÖVP-Wien von ihrem Tea-Party-Trip herunterkommt. Ich bin offen für Zusammenarbeit - unter der Voraussetzung, dass die ÖVP diese in Wien eines Tages wieder sucht.

STANDARD:  Ist Frank Stronach tatsächlich ein Partner für die Grünen? Ist es denkbar, mit dem Team Stronach über Salzburg hinaus zusammenzuarbeiten?

Vassilakou: In Wien stellt sich die Frage nicht - bis auf weiteres. Die Frage stellt sich derzeit in Salzburg, und dort muss Astrid Rössler entscheiden, wie sie damit umgeht.

STANDARD:  Die grüne Parteispitze sagt, eine Zusammenarbeit mit Stronach auf Bundesebene ist ausgeschlos- sen ...

Vassilakou: Dem schließe ich mich an. Man muss sich anschauen, wofür Stronach auf Bundesebene steht: Er steht für eine Rückkehr zum Schilling. Gnade! In welcher Phase der Geschichte ist er denn stehengeblieben? Oder die Flat Tax. Mit solchen Steuerprivilegien für Superreiche konnten die Grünen noch nie etwas anfangen.

Felipe: Es ist ein Dilemma. Die Salzburger Grünen sind mit der Konstellation konfrontiert, dass Schwarz und Rot nicht mehr miteinander reden. Astrid Rössler verhandelt jetzt mit ÖVP und dem Team Stronach Inhalte. Wenn die verhandelt sind, kann man schauen, ob eine Dreierkoalition mit Beteiligung des Teams Stronach praktikabel ist. Ich hoffe schwer, dass uns auf Bundesebene nichts Ähnliches blüht.

STANDARD:  Aber die Inhalte und die Bedenken bleiben auf Bundes- und Landesebene doch die gleichen.

Vassilakou: Aber in Salzburg kann das nicht entschieden werden. In Salzburg sind das bestenfalls grundsätzliche Haltungen, die haben in der Lokalpolitik aber keine Auswirkungen.

Felipe: Die Situation in Salzburg, das muss ich schon sagen, ist mit Vorsicht zu genießen.

STANDARD:  Wo sind denn die Unterschiede zwischen Ihnen beiden, abgesehen vom Familienstand?

Felipe: Wir haben sehr ähnliche Eigenschaften und Einstellungen.

Vassilakou: Auch von der Generation her sind wir einander sehr ähnlich. Wir sind beide nicht Gründungsmitglieder, wir sind die nächste Generation der Grünen.

STANDARD:  Also beide keine Fundis, beide Realos?

Vassilakou: Schon wieder die Klischeemaschine!

Felipe: Ich bin Fundamentaloptimistin!

Vassilakou: Ich fand unsere grünen Umhängetaschen toll, wo man ankreuzen konnte: Fundi oder Realo.

Felipe: Ich fand deine Tasche toll, die Bürgermeisterin-Tasche. Ich habe von den SüdtirolerInnen-Grünen auch eine Tasche bekommen, da steht Landeshauptfrau drauf, mit einem Tiroler Adler, der hat lackierte Nägel. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Tasche auszuführen!

STANDARD:  Ob Günther Platter das verkraften wird?

Felipe: Das muss er verkraften. Und er wird's. (Petra Stuiber; Michael Völker, DER STANDARD, 25.5.2013)