Peter Lund (re.) und Sam Madwar über die Vorteile der Berliner Schnauze für eine preußische Revueoperette mit Brettlcharme.

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Wien - In einer Julinacht des Jahres 1969 ist dieser ferne Ort deutlich entmystifiziert worden: doch nur eine kalte Wüste aus Staub und Steinen. Davor hatten Mensch und Tier den bleichen Kreis hunderttausende Jahre lang angestarrt und angebetet und reichlich Sehnsüchte und Hoffnungen darauf projiziert.

Auch als der Mensch begann, sich seine Zeit auf Erden mit Musik und Theater zu vertreiben, war der Mond immer wieder Thema. Bei Joseph Haydns Il mondo della luna von 1777 war die Trabantenszenerie noch eine Täuschung, in Jacques Offenbachs ein knappes Jahrhundert später entstandener Voyage dans la lune wird wirklich weit gereist. Und auch der Operettenkomponist Paul Lincke stattete Frau Luna - der Mond ist in den romanischen Sprachen ja weiblich - ausgangs des 19. Jahrhunderts einen Besuch ab.

Operettenkoryphäe Volker Klotz beurteilt das Werk eher kritisch, bemäkelt die "kritiklose Huldigung" der "selbstvergafften Berliner Mentalität" sowie die "auftrumpfende Großmäuligkeit der Märsche und Polkas". "Es ist nicht subtil", antwortet Regisseur Peter Lund darauf mit einem ersten Lacher, "subtil ist das falsche Wort für Frau Luna. Lincke kommt aus der Militärmusik, das Volksopernorchester musste also nicht so lange üben. Aber die Musik hat eine unglaubliche Ohrwurmqualität. Da erinnert sie mich manchmal an den frühen Gershwin - ohne dessen Jazz-Raffinement." "Es ist deftig orchestriert, es ist marschfreudig und gassenhauerhaft", ergänzt Bühnenbildner Sam Madwar. " Dazu muss man sich bekennen und es mit Gusto verkaufen, sonst macht das keinen Sinn."

Die Erstfassung von 1899 sei ein charmanter Einakter gewesen, erzählt Lund, "einfach so hingerotzt, eine Berliner Posse mit Brettlcharme". 20 Jahre später habe Lincke das Werk zur Revueoperette erweitert, "aufgemotzt, alle seine Hits reingetan. Zwischen diesen beiden Polen liegt das Stück. Für unsere Fassung haben wir zudem noch zwei große Finale geklaut - wir haben da ein bisschen geklotzt, um der Volksoper gerecht zu werden."

Ein Traum für einen Bühnenbildner, lunare Welten zu erschaffen? "Es ist natürlich eine Steilvorlage", stimmt Madwar zu. "Wir haben es richtig weit getrieben und uns jeglichen Realismus verkniffen. Bei uns ist der Mond ein Raumschiff mit Retrocharme, mit einer SF-Ästhetik à la Jules Verne. Unsere erste Konzeption haben wir etwas verschlankt, auf der großen Bühne kostet dann doch alles erstaunlich viel mehr, als man im ersten Moment denkt."

Wobei auf dem Madwar'schen Mond, auf Anregung des Hausdramaturgen Christoph Wagner-Trenkwitz, eine recht wienerische Atmosphäre herrsche. Hier werde wie in der Donaumetropole der Gemächlichkeit, der Vergangenheitsanbetung und der Veränderungsskepsis gehuldigt. "Und die Preußen kommen plötzlich dahin mit ihrer Tempoidee, mit der Aufbruchsstimmung des 20. Jahrhunderts und machen Rabatz!"

Apropos Veränderungsskepsis: Haben sich die hiesigen Ensemblekräfte der Volksoper schwergetan, auf Berliner Schnauze umzulernen? "Den Berliner Dialekt haben wir sehr trainiert. Da mussten wir üben", konzediert Lund, der als Mitglied im Leitungsteam der Neuköllner Oper Berlin für diese etliche erfolgreiche Musicals verfasste und seit einem Jahrzehnt eine Klasse für Musical/Show an der Universität der Künste leitet.

In jungen Jahren war der heute 47-Jährige als Student für die Bühnenbildklasse ebendieser Bildungseinrichtung noch abgelehnt worden ("wahrscheinlich zu konventionell") und hatte in weiterer Folge Architektur studiert. Seine Kenntnisse auf diesem Gebiet kommen Madwar entgegen: "Lund ist ein versierter Regisseur, das ganze Konzept ist in enger Zusammenarbeit entstanden."

Lob der Autodidaktik

Madwar wiederum kommt ja eher aus der Musiker/Schauspieler-Ecke, hat am Konservatorium Wien Schauspiel studiert und "niemals damit gerechnet, Bühnenbildner zu werden". Vor sieben Jahren ist er bei seiner ersten Regiearbeit als Bühnenbildner eingesprungen, das Ganze hat so gut funktioniert, dass Folgeengagement auf Folgeengagement kam und der 41- Jährige nach vielen erfolgreichen Arbeiten an der Volksoper schon fast eine Hauskraft ist.

"Alles, was ich kann, habe ich aus Büchern. Ich hab mir für 2000 Dollar Bücher über Bühnenbild gekauft und sie mir ins Hirn geschossen, weil ich gewusst habe: In acht Monaten muss ich ein Bühnenbild haben und das Ganze muss technisch unangreifbar sein." Eine raketenhafte Karriere - passt doch perfekt für Frau Luna.  (Stefan Ender, DER STANDARD, 6.6.2013)