Der Kleine macht Lärm, während Mutti in der Wohnküche telefoniert. "Hör auf", verlangt sie, doch der Junge hört natürlich nicht auf. Und schon fliegt die Hand. Jetzt, im Moment des Schlages, verlangsamt sich das Geschehen plötzlich: Die Hand der Mutter trifft in Zeitlupe auf die linke Wange des Sohnes, sein Kopf dreht sich mit fliegenden Haaren weg, und das ganze Gesicht verzerrt sich unendlich langsam zu einer unfreiwilligen Grimasse.

Die Szene ist derzeit auf allen Fernsehkanälen Frankreichs zu sehen. Die französische "Stiftung für Kinder" hatte sie in Auftrag gegeben, um die fatale Wirkung von Ohrfeigen ("gifle" auf Französisch) plastisch vor Augen zu führen.

Ohrfeigen-Verbot in 30 Ländern

85 Prozent der Franzosen haben diese "Erziehungsmethode" laut Umfragen schon eingesetzt. Umgekehrt haben sie mehr als dreißig Länder verboten. Schweden war 1976 Pionier, Deutschland ist vor einem Jahrzehnt gefolgt, in Österreich gilt das Verbot seit 1989.

Französische Eltern verteidigen sich gar nicht erst damit, ihnen rutsche ab und zu die Hand aus - sie wenden die Ohrfeige bewusst als Erziehungsmethode an. Dabei berufen sie sich auf den gesunden Menschenverstand, laut dem eine Schelle oft mehr als langes Zureden wirke.

Stress und körperlicher Schaden

Dem widersprechen die Pädagogen. Das Kind höre vielleicht mit dem Fehlverhalten auf, doch es beruhige sich keineswegs, meint Emmanuelle Piet, die Koordinatorin der aktuellen Werbekampagne. "Die einzige Person, die sich beruhigt, ist der Erwachsene." Das Kind erleide hingegen neben dem Stress auch einen körperlichen Schaden. "Eine auch nur kleine Ohrfeige verformt das Gesicht des Kindes und schüttelt sein Hirn durch, sodass es zwei Sekunden aussetzt", erklärte Piet mit Hinweis auf medizinische Studien.

92 Prozent gegen "Watschenverbot"

Dramatisch seien auch die sozialen Folgen. Kanadische Pädagogen und Kinderärzte hätten eruiert, dass Kinder, die körperlich gezüchtigt würden, ängstlicher, aggressiver und suchtgefährdeter seien und zum Beispiel auch schlechtere Noten hätten.

Solche Einsichten sind in Frankreich aber offenbar nicht sehr verbreitet: In einer Spontanumfrage des Figaro sprachen sich 92 Prozent der Leser gegen ein "Watschenverbot" aus. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 22./23.6.2013)