Die Kinder machen hier wichtige sensorische Erfahrungen.

Foto: http://www.katsey.org

Ausleben, hurra! Waldfüchse müssen nicht still sitzen.

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Schutz und Wärme bieten ihnen zwei große Tipis.

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Blumenkind.

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Die Kinder essen auch gerne ihre mitgebrachte Jause im Freien.

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Paula sitzt im Baum. Leonie schwingt sich am Seil durch die Luft. Manuel kämpft mit einem abgebrochenen Ast gegen einen Ritter aus rostigem Blechmüll. Theo rollt ein Würstel aus Gatsch auf einem Baumstumpf. Drei Polizisten, ­bewaffnet mit krummen Stecken und Kränzen aus Gras auf ihren Häuptern, stürmen aus dem Zelt und umstellen die zwei Eindringlinge aus Wien: die mit der Fotokamera und die mit dem Notizblock. Frage: Warum sie nicht lieber in einen normalen Kindergarten gehen? Antworten: "Weil ich da auf Bäume klettern kann." "Weil ich im Gatsch rutschen kann." "Weil ich mit der Leonie spielen kann."

Bedürfnis nach Bewegung

Wer an Kindergärten mit Bau- und Puppenecke, mit Stillsitzen im Morgenkreis und Gymnastikstunden gewöhnt ist, wird sich im lebendigen Gewurl des Waldkindergartens im niederösterreichischen Münichsthal bei Wolkersdorf erst einmal einen Überblick verschaffen müssen. Denn das Bedürfnis nach Bewegung möglichst uneingeschränkt ausleben zu dürfen ist eines der obersten Prinzipien bei den Waldfüchsen. Die Kinder verbringen das ganze Jahr über im Freien. Schutz und Wärme bieten ihnen zwei große Tipis, in einem kann Feuer gemacht werden. Die selbst mitgebrachte Jause essen die Kinder, wenn es nicht gerade stürmt und hagelt, im Freien.

Und manchmal kochen sie auch selbst: zum Beispiel Brennnesselchips mit Kräutersalz. Oder Suppe aus Giersch, dessen würzige Blätter man auch roh in Salate mischen kann. Zum Nachtisch gibt's Waldkaugummi - wilde Pfefferminze. Spielzeug findet sich - außer Stiften und Papier - keines, man nützt, was die Natur einem bietet. Die Ostereier färbt ein echter Waldfuchs mit Zwiebelschalen. Das Mobile bastelt er aus ­Ästen, Tannenzapfen und Schneckenhäusern. Das Smartphone ­besteht aus einem rechteckigen Stück Holz mit einem selbstgebohrten Loch in der Mitte. "Da sind auch Videos drauf", erklärt Besitzer Jonathan, "schau mal!"

Freiraum und Stille

"Ich wollte etwas anbieten, was den elementaren Bedürfnissen der Kinder entgegenkommt, ihrem Forscherdrang", sagt Maria Mittermaier, die Leiterin der Waldfüchse. Die diplomierte Hort-, Kleinkind- und Waldpädagogin hat ihren Waldkindergarten 2005 eröffnet, nachdem sie vier Jahre lang in einem konventionellen Kindergarten gearbeitet hatte. Schon dort, erzählt sie, habe sie Gartenprojekte initiiert, die großen Anklang gefunden hätten. Mit dem Waldkindergarten habe sie sich, auf dem Grundstück der Schwiegereltern, einen Traum erfüllt. Die Hauptunterschiede zum Regelkindergarten sieht sie vor allem darin: "Im großen Freiraum, den die Kinder hier haben. Und in der Stille des Waldes."

Dass die Kinder, alle im Alter von drei bis sechs Jahren, hier viele Freiheiten genießen, heiße aber nicht, dass es keine Regeln gebe, betont Mittermaier: "Immer in Sichtweite bleiben. Keine Pflanzen essen, ohne vorher zu fragen, und nichts wegwerfen - das sind die wichtigsten."

Vor allem gehe es aber darum, den Kindern etwas zuzutrauen: "Wir lassen einiges an Gefahren zu. Zum Beispiel dürfen die Kinder bei uns auf Bäume klettern und so ihre eigenen Grenzen kennenlernen. Das stärkt das Selbstbewusstsein." Auch Schnitzmesser und andere Werkzeuge sind bei den Waldfüchsen kein Tabu.

Der kleine Bach als Wasserwelt

Mit ihrer Kuckucksflöte ruft Mittermaier ihre kleine Schar zusammen, wenn eine gemeinsame Aktivität geplant ist - wie jetzt: ein Ausflug zur "Wasserwelt", einem kleinen Bach, der sich in der Nähe vorbeischlängelt und von dem die Waldfüchse selbstständig Wasser holen, wenn sie welches brauchen. Die Kinder klettern oder rutschen in ihren Gatschhosen den Hang zum Bach hinunter, benennen Pflanzen und Käfer auf dem Weg, betrachten ein zusammengerolltes Blatt, in dem ein paar Kügelchen liegen. Eier? Und von welchem Tier?

Mittermaier spricht von Achtsamkeit der Natur gegenüber und der Wertschätzung dessen, was sie bietet, von Selbstgemachtem, Selbstgekochtem. Dann ist es Zeit umzukehren, denn der Waldkindergarten ist um zwölf Uhr mittags zu Ende. Warum so früh? „Weil vier Stunden im Freien für die Kinder ausreichend sind", ­erklärt Mittermaier.

Mama wartet beim Eingang

Alleinerzieherinnen und Familien, in denen nicht nur der Papa, sondern auch die Mama mehr als drei bis vier Stunden pro Tag arbeitet, werden sich mit diesem Modell also eher schwertun. So sind es auch hauptsächlich Mütter, die pünktlich um zwölf Uhr am Eingang zu dem Waldstück auf ihre fröhlichen, gatschverkrusteten Kleinen warten.

"Man könnte meinen, die lernen hier nix. Dabei machen die Kinder ganz wichtige sensorische Erfahrungen, die im normalen Kindergarten oft unterbunden werden", sagt die Mutter einer Sechsjährigen. Sie schätzt bei den Waldfüchsen vor allem den "achtsamen, einfühlsamen Umgang mit den Kindern und das schöne soziale Mit­einander". Dass ihr Kind auch bei winterlichen Minusgraden nur draußen herumtobt, schreckt sie nicht ab, im Gegenteil: "Das stärkt die Abwehrkräfte." (Barbara Schwarcz, Magazin "Family", DER STANDARD, 24.6.2013)