Linz - Mit brutaler Regelmäßigkeit dröhnen dumpfe Schläge auf eine unsichtbare Trommel durch das Dunkel des Großen Saals des neuen Linzer Musiktheaters. Das Tanzstück Tragédie des französischen Choreografen Olivier Dubois beginnt. Ein einzelnes Licht glimmt auf, eine nackte Figur tritt durch den schwarzen Hintergrundvorhang. Dann eine zweite, eine dritte.

Immer mehr Tänzer tauchen auf, marschieren los. Elf Schritte nach vorn, einen Schritt zur Seite, elf Schritte zurück. Ohne zu zögern legen sie ihre Wege zurück, verschwinden im Dunkel der Hinterbühne, tauchen wieder auf. In verschiedenen Konstellationen folgen neun Frauen und neun Männer einem genauen Plan. Unterschiedliche Figuren und Hautfarben, Typen, die " den Menschen" repräsentieren.

Dubois' Tragödie in drei Akten erzählt keine Geschichte, sondern zeigt einen Ablauf, der klassisch sein könnte. Am Anfang herrscht zwanghafte Ordnung. Es folgen Störungen im straffen Regelsystem. Konfliktfelder bauen sich auf. Die Irritationen weiten sich aus, es kommt zu Chaos und Overkill. Sehr schnell wird klar, dass die Nacktheit der Tänzer hier nicht Erotik symbolisiert, sondern den menschlichen Körper in seiner gesellschaftlichen Bedeutungsgeladenheit.

Seit undenklichen Zeiten wird dieser Körper bereits geordnet, organisiert, zivilisiert und kultiviert, also domestiziert und diszipliniert. Die unterschiedlichsten Ideologien haben bereits an diesem Körper herumgedoktert. Heute geht es vor allem - wieder - darum, ihn zu optimieren und ihn nachdrücklich dazu zu bringen, dass er sich selbst in "besser" oder "weniger gut" sortiert.

Exakt auf die Zwanghaftigkeit dieser Leibesverbesserung zielt Dubois. Seine Bewegungsmuster stehen für den Versuch, Menschen in Musterschüler umzuerziehen. Weil deren Körper aber nicht so einfach zu normieren sind, schleichen sich in alle gleichgerichteten Ordnungssysteme früher oder später Fehler ein. Also folgt auf die Katastrophe des Zurechtzwingens eine zweite: die Brutalität des Auseinanderfallens.

Um das zu schildern, bedarf es in Tragédie keiner Worte, keiner speziellen Symbole und keiner Blutbäder. Die Grammatik der Choreografie in der Lichtkomposition von Patrick Riou und zur Musik von François Cafenne reicht aus, um darzustellen, was sich ereignet, wenn politische Fässer überlaufen. Dieses Stück ist nach Révolution und Rouge der letzte und imposanteste Teil einer Trilogie, in der Dubois den gesellschaftlichen Konflikt thematisiert. In Österreich gastierte Dubois nicht zum ersten Mal.

Rouge und seine Version von L'Après-midi d'un faune waren bei Impulstanz zu sehen, und er hat 2008 dort auch den ersten Prix Jardin d'Europe gewonnen.

Auch beim kommenden Impuls-Festival wird Olivier Dubois am 11. Juli auftreten - mit seinem Duett Prêt à baiser. Und Tragédie ist demnächst in Amsterdam und am 24. Juli beim Festival Bolzano Danza in Bozen zu erleben. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 25.6.2013)