Bild nicht mehr verfügbar.

Im Haus des Professor Wegrat (Rainer Frieb, Mi.) wird das Walten des Todes (noch) frech geleugnet. Herr von Sala (Joseph Lorenz) bereitet sich hingegen auf sein Ende vor.

Foto: APA/Lloyd

Reichenau a. d. Rax - In Der einsame Weg hat Arthur Schnitzler (1862- 1931) sich und seinesgleichen kein sehr erhebendes Zeugnis ausgestellt. Das Schicksalslicht fällt ungünstig auf die Herren Fichtner (Miguel Herz-Kestranek) und Sala (Joseph Lorenz). Beide beschleicht das Gespenst des Alters. Jeder von ihnen nennt sich Künstler. Wie zwei Totenvögel schweben die beiden Egoisten durch die Reihen der Familie Wegrat, vorbei an den schütteren Bäumchen, die Peter Loidolt auf die Große Bühne des Theaters Reichenau gepflanzt hat.

Schnitzlers finsterstes Stück ist zugleich auch sein herzzerreißendstes. Frau Wegrat (Julia Stemberger), die Gemahlin eines allzu knöchernen Kunstakademikers (Rainer Frieb), ist zu Tode erkrankt. Das bevorstehende Ableben eines geliebten Menschen löst in dieser Gesellschaft von Sprücheklopfern bloß Abwehrreflexe aus. Das Unabänderliche wird verleugnet. Frau Wegrat verbeißt sich vor aller Augen den Schmerz. Tochter Johanna (Alina Fritsch) verachtet die Mutter für deren Unaufrichtigkeit. Ihr Aufzug als morbide Nymphe zieht wiederum die Begehrlichkeiten des Herrn von Sala auf sich.

Doch für die Freuden einer stolz und selbstsicher gelebten Lust fehlt es in diesem Spuk-Wien an Einsicht und Mumm. Regisseur Hermann Beil ist das nicht geringe Kunststück gelungen, Schnitzlers fünfaktige Todessymphonie rein zu erhalten. Kein jäher Wetterumschwung trübt den Eindruck eines Requiems. Die Kulisse entblößt einen blassen Himmel, der bei Herbstbeginn entsagungsvoll leuchtet. Diese wunderbar unzeitgemäße Aufführung feiert Allerheiligen und Allerseelen praktischerweise zugleich.

Nur am Nebenschauplatz des Stückes regen sich ein paar Selbsterhaltungskräfte. Der erloschene Maler Fichtner leidet an Vereinsamung. Frau Wegrat war er, 23 Jahre vor Stückbeginn, nicht nur als Porträtist herzlich zugetan. Die Frucht der Beziehung, Sohn Felix (Dominik Raneburger), schlüpfte unbemerkt in die Obhut der Wegrat'schen Ehe hinüber. Fichtner, den Herz-Kestranek als wenig zimperliche Kraftnatur gibt, hätte das Kuckuckskind jetzt gerne an die Malerbrust gedrückt. Er habe ein Anrecht auf seinen Sohn - einfach darum, weil er seiner bedarf.

Das Irrlicht der alten Schnitzler-Herrlichkeit der Mizzis und Mätressen ist die emeritierte Schauspielerin Herms (Regina Fritsch). Überlaut, fast ordinär reklamiert sie für sich das Recht auf Selbstbestimmung. Auch sie wurde von Fichtner einst sitzengelassen. Wie Fritsch nun in die gewisperten Töne mit der Macht einer Heurigenmusikerin hineinfährt - wie sie ihr niemals geheucheltes Leid sublimiert und in ein schallendes Gelächter umbiegt, das ist das Scherzo in dieser herrlichen Symphonie.

Bonmots der Beklommenheit

Die Bassstimme aber gehört Stephan von Sala. Joseph Lorenz ist in seinem grabdeckelgrauen Aufzug ein steinerner Gast. Hin und wieder durchbricht er die Beklommenheit mit einem bösen Bonmot. Die seltsame Liebschaft mit Johanna führt ihm keine frischen Lebenskräfte zu. Dafür vernichtet sie das Mädchen, das um seinetwillen ins Wasser geht. Sala möchte eine archäologische Expedition nach Baktrien (Mittelasien) unternehmen. Seine Herzkrankheit tut ein Übriges. Hoffnung gibt es für ihn und seinesgleichen keine. Diese verwitwete, eisige Erscheinung hat vom Quell der Erkenntnis getrunken. Zu wissen, was es geschlagen hat, heißt: zu resignieren. Kaum jemals zuvor war Lorenz härter, spröder, zählebiger und klarer als in dieser Rolle.

Aufführungen wie Beils Der einsame Weg werden in Wien schmerzlich entbehrt. Mit einer solchen Unternehmung wird man vielleicht nicht zum Theatertreffen eingeladen. Aber man trifft Schnitzler. Mitten ins Herz. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 6./7.7.2013)