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Am Ende sind sie alle nachtragende Greise, die einander nach wie vor nichts Gutes wünschen: Die Figuren in Verdis "Attila", wie sie Regisseur Peter Konwitschny sieht.

Foto: APA/MONIKA RITTERSHAUS

Wien - Mitten in der Aufführung ein Publikumsdiskurs, in seiner geistreichen und tiefschürfenden Art nicht untypisch für die Opernwelt: "So eine Steuerverschwendung!" - "Geh doch nach Hause!" - "Arschloch!" - "Pfui!" - "Sind die Wiener doof?" Anschließend ein kurzer Massenzwist zwischen "Bravo!" und "Buh!".

Schon zuvor indes war im Theater an der Wien klar: Regisseur Peter Konwitschny hat bei Giuseppe Verdis früher Oper Attila formvollendet zugelangt. Die Geschichte um den in Italien wütenden Hunnenkönig, den Feldherr Ezio zu einem Pakt verführen und den Odabella ermorden will, da Attila seinerseits ihren Vater beseitigt hat, wird hier zu einer in ihrer Grundbotschaft ernüchternden Studie umbelehrbarer Rachegelüste mit schrillen Mitteln.

Die Inszenierung zieht über Verdis in Vorspielen düster-melancholischem Opus zur Beweisführung eine zweite, beschleunigende Zeitebene ein. Zu Beginn wirken alle wie verspielte Kinder; Attilas Krieger werden als felltragende Halbwüchsige karikiert, deren Kriegsgerät aus Löffeln, Kochtöpfen und sonstigem Küchennutzgerät besteht. Auf Tretrollern tollen und klappern sie herum. Und als die Frauen des besiegten Aquiläa hereingezerrt werden und sich mit Karatetritten wehren, wähnt man sich in einem Monty-Python-Film.

Unheilbare Rache

Dann allerdings wird schnell gealtert: Aus verspielter Jugend wird Erwachsenenvolk, das immer noch seinen mörderischen Zielen anhängt. Und als es in Richtung Finale geht, fahren Rollstühle auf die Bühne, in die sich die Hauptfiguren plumpsen lassen. Sie sind nun greise Bewohner eines Altersheims. Mögen sie nun blind (Attila) sein oder mit ihren Leiden Medizinlexika füllen - immer noch lodert in ihnen jedoch die inhumane Seite der Macht. Längst tattrig, ist er immer noch auf dem Kriegspfad, dieser Haufen Unbelehrbarer, die einander zitternd an die Gurgel wollen.

Wirkt dies wie ein sehr pessimistischer Befund zur Entwicklungsfähigkeit des Homo sapiens und speziell zum Zustand des Despotencharakters, ist das von Konwitschny grell und bisweilen virtuos entfesselte Theater doch voller Komik. Hier misstraut einer jeglichem Patriotismuspathos. Hier gibt es keinerlei Gnade dem großen Eroberer gegenüber, der für das Erreichen seiner Expansionsziele bedenkenlos Tausende in den Tod schickt. Hierfür hat die Regie nur Spott und szenische Verulkung parat.

Da haut Odabella (tolle Leistung im Koloraturbereich: Lucrecia Garcia) Attila mit einem hohen Ton um. Und gern lässt sie ihre weiße Gitarre auf Männerköpfe herabsausen, um die Schlagkraft ihrer Argumente zu optimieren. Auch wird der moralfreie Ezio (profund, ausdrucksstark: George Petean) vor den Vorhang gebeten, um Heldentum anzupreisen und Standfestigkeit zu beweisen.

Konwitschny, der Slapstickkünstler: Drei Schüsse unterbrechen Ezios Arie, dreimal fällt er und steht auch wieder auf, um schließlich vom Bühnenpersonal abgeführt zu werden. Ein echter Narziss lässt es sich jedoch nicht nehmen, abermals zu erscheinen. Man ist ihm noch Applaus schuldig. Es sind dies Momente, in denen Konwitschnys Theater eine elegante Eigendynamik entfaltet, sich zu originellen Extrapolationen des Grundthemas aufschwingt und das Potenzial der Opernfiguren ausreizt. Eine ganz eigene szenische Musikalität entfalten auch Chorszenen (glänzend der Arnold Schoenberg Chor), die ihren Charme in szenischen Fugen versprühen.

Durchlöcherte Opernwand

Das Ganze findet auf recht leerer Bühne statt, die eine halbkreisförmig angelegte, quasi mit Schüssen durchlöcherte Wand begrenzt (Bühnenbild: Johannes Leiacker). Die räumliche Klarheit, mitunter durch Lichteffekte delikat ausgeziert, birgt zudem den Vorteil, die Aufmerksamkeit noch stärker in Richtung Figuren zu lenken. Man sieht: Bischof Leone (Stefan Cerny), der Attila (souverän: Dmitry Belosselsky) auch als drohende Albtraumgestalt heimsucht, ist ein Mix aus Mafioso und Galan.

Und Attilas Soldaten sind zwar als Erwachsene adrett gekleidet. Allerdings hindert sie dies nicht am Morden; auch nicht daran, Frauen zu einer Art letalem russischem Roulette zu zwingen. Es gibt bei Konwitschny eben keine Gewähr, dass sich vor dem Spaß nicht doch der Abgrund des Entsetzlichen auftut.

So hat die Wiener Opernsaison zu ihrem sehr späten Finale einen (den trostlosen Mittelweg meidenden) späten Höhepunkt kredenzt bekommen - auch dank der respektablen vokalen (nur Nikolai Schukoff erwischte als Foresto nicht seinen besten Tag) und instrumentalen Umsetzung.

Gleich zu Beginn war zu hören, dass Riccardo Frizza bei Verdi für satten Sound wie Klarheit und Schlankheit der Melodiebögen sorgen würde. Das RSO-Wien bliebt denn auch unter seiner Leitung ein konzentrierter, tadellos klingender Advokat der herben Partitur. Hernach gab es zwar keine Verbaldispute mehr. Als Konwitschny erschien, setzte jedoch ein Fight zwischen Ablehnung und Zustimmung ein, dessen Ausbleiben diesen Regisseur jedoch sicher beunruhigt hätte. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 9.7.2013)