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Eine grasgrüne Welt, bevölkert mit Clowns, Ballerinen, Artisten sowie Alkoholikern, Dicken und einem beinlosen Tänzer: Wie das englische DV8 Physical Theatre mit "The Cost of Living" im Rahmen von ImPulsTanz im Burgtheater knapp, aber doch am Politkitsch vorbeischrammt.

Wien - Dumpfgrünes Gras bedeckt nicht nur den Boden der Bühne, sondern auch deren Wände, die Säulen und den Himmel. Das ist die Welt. Sie wird von Clowns und einem schimpfenden Schotten bevölkert, von vielen Dünnen und einem Dicken, Ballerinen und einem Beinlosen, Artisten und einer Alkoholikerin.

In Lloyd Newsons Choreografie The Cost of Living, die soeben vom englischen DV8 Physical Theatre bei ImPulsTanz im Burgtheater gezeigt wird, zeigt sich die Welt als soziales Schlachtfeld. Dort fallen diejenigen, die weniger fit oder einfach anders sind, als Erste. Und zwar ins Out, wo sie gut zu übersehen sind.

Newson fasst in dieser Arbeit, die sinnvollerweise zur Sommerolympiade 2000 in Sydney uraufgeführt wurde, die deklariert sozial engagierte Performance noch einmal zusammen. Das politische Theater von gestern mit all seinen Deutlichkeiten fügt sich gut in die ausverkaufte Burg. Immer wieder brandet Lachen und Szenenapplaus auf, aber Newson führt auch das Publikum vor. Wer zu spät kommt, wird von dem schimpfenden Schotten mit ironischen Bemerkungen bedacht. Später werden die Zuschauer in einen Wettbewerb einbezogen, der grausame TV-Gewinnshows persifliert. Ein strenger Ballerino demonstriert, was es kostet, einen Tanz auf die Beine zu stellen.

The Cost of Living: Ein Bilderbogen voller Spott und Traurigkeit, die Karikatur einer Gesellschaft, die zu Gleichmacherei drängt, zu falschem Individualismus und abzockendem Entertainment. Newson sucht das große Spektakel mit dem kleinen zu konterkarieren. DV8 schrammt dabei dank seines englischen Humors knapp, aber doch am Politkitsch vom Schlag des choreografischen Theaters etwa eines Johann Kresnik vorbei. Tatsächlich ist Newson kein beinbiegender Berserker, sondern einfach ein Anwalt der mit Mühsal Beladenen. Leider ignoriert er dabei, dass viele der von ihm verwendeten Metaphern bereits zu Klischees geronnen sind.

Die simplifizierte Bildsprache wird gerade seiner liebsten Figur zum Verhängnis, dem beinlosen Tänzer David Toole. Dieser muss sich mit seiner Rolle als Werkzeug zur Konstruktion von Betroffenheit zufrieden geben. Der großartige Tänzer der englischen Company CanDoCo wirkt so wie ein Ausstellungsstück. Im Kontext der Tanzperformance von Behinderten ist das ein Rückschritt. Der deutsche Choreograf Raimund Hoghe und vor allem die Troupe Taihen der koreanisch-japanischen Choreografin Manri Kim plädieren durch die Autarkie ihrer Arbeit wesentlich wirkungsvoller für die Emanzipation des "anderen" Körpers auf der Bühne.

Newson selbst hat kürzlich in der Londoner Tate überzeugend gezeigt, dass er fähig ist, zeitgemäßere Formate zu nutzen. In dem dort präsentierten Performance-Parcours The Living Costs, einem Derivat von The Cost of Living, führte DV8 seine Besucher direkt in das unheimliche Geschehen eines Bilderkampfs gegen die Normierung in Kunst und Gesellschaft. In seinem Auszug aus dem Bühnenkasten gelang die Irritation wesentlich besser.

Wenn sich am Ende von The Cost of Living im Burgtheater ein Darsteller in den Mund schießt, erschrecken alle. Weil es so laut knallt. Sobald der Suizidant aufsteht und langsam abgeht, macht der Applaus im Theater alles wieder gut. Man zappt sich zum Ausgang. Als bei der Premierenparty junge Tänzer ihre perfekten Bodys bei Bongo-Sounds vergnügten, war David Toole nicht mehr dabei. Das muss nichts heißen. Vielleicht war der Mann ohne Beine nur einfach müde von der anstrengenden Aufführung.

(Helmut Ploebst/DER STANDARD, Printausgabe, 01.08.2003)