"Ich habe schon Buchstaben geschrieben", berichtet Vicky von den ersten beiden Schultagen ihres Lebens.

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Vicky geht seit zwei Tagen in die Schule. In eine der beiden öffentlichen Volksschulen im Ort. In die auf dem Hügel. Ihre Freundin Flora lernt seit Montag rund 500 Meter unterhalb, am Fuße des Hügels. Sie besucht dort die eben erst gegründete Montessorischule. Monatliche Kosten inklusive Bioessensbeitrag: fast 500 Euro.

Vickys Mama hat die Schule am Hügel auch deshalb gewählt, weil sie "streng" sein soll. Heißt: eine gute Vorbereitung auf das Gymnasium. Dafür nimmt sie gerne einen weiteren Anfahrtsweg in Kauf. Floras Mama hat einen anderen Ansatz: Lernen soll ihrer Tochter vor allem Freude bereiten. Und da ist Theaterspielen mitunter wichtiger als Mathematik. Dass die Schule mit englischsprachigen Lehrkräften bilingual geführt wird, war ihr nicht wichtig. Aber die Haltung zum Kind.

Was es in der Montessorischule sicher nicht gibt: Hausübungen, Schularbeiten, schwere Schultaschen. Auch "stillsitzen und ruhig sein" steht auf der No-go-Liste der Schule. Die öffentliche Schule schreibt dafür das Fördern von Begabungen groß. Auch ein "solides Grundwissen" wird als pädagogischer Grundsatz hervorgehoben.

Anmalen, ausschneiden, aufkleben

Für unseren Interviewtermin im Kaffeehaus hole ich Vicky vom Hort ab. Sie spielt gerade draußen im Wald, die Lernstunde hat sie bereits hinter sich gebracht. Ihr Aufgabenvolumen an Tag zwei beträgt "vier Bilder anmalen, ausschneiden und aufkleben". Das Ergebnis holt sie stolz aus ihrer türkisblauen Schultasche heraus. Vicky wird jeden Tag bis 4 Uhr in der Schule bleiben. Obwohl der Unterricht meist vor 12.35 Uhr endet.

Flora wartet schon ungeduldig, dass wir endlich zum vereinbarten Schulinterview vorfahren. Dass sie um 15 Uhr schon zu Hause ist, ist eine Ausnahme der ersten Schulwoche. Eigentlich ist ihre Schule eine Ganztagsschule. Das heißt: Anwesenheit bis 15 Uhr, außer am Freitag, da ist um 13 Uhr Schluss. Eine Schultasche nimmt sie nicht mit. Braucht sie nicht.

Eine Geschichte von der Frau Lehrerin

"Ich habe schon Buchstaben geschrieben", eröffnet Vicky ihre Berichterstattung aus wenigen Tagen Schulerfahrung. Und außerdem hat "die Frau Lehrerin" eine Geschichte vorgelesen. "Mit Tieren. Die sind zum ersten Mal in die Schule gegangen." Das hat der Siebenjährigen gut gefallen. Sie hat sich dafür entschieden, während des Unterrichts hinter ihrem Schreibtisch sitzen zu bleiben."Die anderen sind auf einem runden Teppich gesessen."

Und wo sitzt sie selbst? Gibt es da Sitzreihen? Vicky zögert kurz, beschreibt dann aber beinahe unmissverständlich: "Da ist ein halbes Viereck. Und ich sitze da so" - sie dreht sich zur Seite -, "und auf der Seite" - sie deutet nach links - "ist noch ein Tisch, wo wieder zwei sitzen." U-Form also? "Nein." Wer weiß denn schon am zweiten Schultag, was ein U ist.

Bei Flora ist das mit dem Sitzen einfacher. "Es gibt keine Tische!", empört sie sich über die Frage nach der Sitzordnung. Geschrieben wird "am Boden. Also nicht nur am Boden! Am Blatt Papier natürlich!"

Und auch bei ihr hat der erste Schultag mit einer Geschichte begonnen. Vorgelesen von "Sally", ihrer Lehrerin. "Die spricht Englisch." Also hat Flora die Geschichte gleich zweimal gehört, "zuerst auf Deutsch und dann auf Englisch". Wie die zweite Lehrkraft heißt, die sich ständig in der altersgemischten Klasse der Sechs- bis Neunjährigen befindet, will ihr leider nicht einfallen.

Lernziel Putzen

Was sie dafür ganz genau weiß, ist, was sie alles so in der Schule lernen wird. "Kochen." Noch etwas? "Ja, Schneiden. Und Putzen. Jeder muss das machen." Sie selbst ist für die Glasscheiben zuständig, sagt Flora. Ihre Schlussfolgerung, trotz Einflusses von zwei großen Brüdern: Das Schuljahr wird "super".

Diese Einstellung teilt sie mit Freundin Vicky, die sich ihre Auskunftsfreudigkeit beim Interview mit einer Kugel Erdbeereis erkaufen lässt. Ihr Ausblick folglich: "Ich glaube auch, dass es super wird." Nachsatz: "Weil ich viel mehr Eis esse als die anderen."

Da hat sie freilich schon gewusst, dass wir vor den nächsten Ferien wieder mit ihr sprechen wollen. Dass wir wissen wollen, ob die Frau Lehrerin noch immer so "lieb", die Aufgaben immer noch so "leicht" und die Sophie und die Amelie aus ihrer Klasse immer noch so "nervig" sind.

"Ur deppat"

Damit das Überprüfen leichter fällt, stellt auch Flora eine Prognose für die kommenden Wochen und Monate auf: "Die Lisa wird sicher nicht meine Freundin werden." Denn die ist "deppat. Ur deppat." Da Flora eine reflektierte Siebenjährige ist, kann sie dieses Urteil natürlich auch begründen: "Die haut die ganze Zeit. Und die stört. Also ich sitze im Kreis, und die macht so: Tschhhhhhh." Dabei macht Flora mit ihrem linken Ellbogen eine Bewegung, als wolle sie eine sich schließende Schnellbahntür noch einmal zur Seite schieben. Bei Flora hat diese Ellbogenschubserei aber nicht zur Folge, dass die Tür aufgeht, sondern: "Dann fallen alle um." Über die Reaktion der Lehrerin kann Flora nichts berichten. Scheint also nicht zu schlimm gewesen sein.

Was sie sich außerdem erwartet, sind Ausflüge. Schließlich hat sie ja ein Busticket. "Niemand hat sonst ein Busticket." Was sie ausschließen kann, ist der pädagogische Einfluss des Schulgartens: "Im Garten lernen wir nie." Aber ein Schulbeet gibt's.

Beim nächsten Eis in drei Monaten will derStandard.at nachschauen, ob die Schule auch alles erfüllt, was sich die beiden Freundinnen und ihre Eltern von ihr erwarten. (Karin Riss, derStandard.at, 5.9.2013)