Zur Person

Nicolas Brieger begann als Schauspieler in Kino- und Fernsehproduktionen. Später wurde er Schauspieldirektor in Mannheim. Seine Operninsze- nierungen sind u. a. "Der Ro- senkavalier" und die Uraufführung von Elliot Carters "What next?" in Berlin.

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STANDARD: Wovon erzählt uns Mozart in seinem "Idomeneo"?

Brieger: Idomeneo ist das erste "komplette" Opernwerk Mozarts; dessen - viel gescholtene - Dramaturgie ist aus heutiger Sicht die modernste. Sie ist bruchstückhaft, erzählt weniger eine lineare Geschichte, sondern beobachtet die Folgen eines Krieges. Alle Protagonisten sind Gestrandete, liebesunfähige Gefühlskrüppel, nicht nur die Titelfigur. Idomeneo selbst ist ein Kriegsveteran: ein Sieger, der aber heimkehrt als Verlierer.

Er hat zwar sein Leben retten können, aber nur durch einen Kuhhandel: Für die Erhaltung seines Lebens und seiner Macht hat er einen Pakt mit einer Gottheit geschlossen und einen Menschen geopfert - wie sich herausstellt, seinen Sohn. Idamante wiederum sehe ich als einen äußerst unglücklichen Mensch. Die Vaterliebe ist in seinem Leben derart dominierend, dass da kaum Platz ist für eine eigene Entwicklung.

STANDARD: Mozart hat noch wiederholtest an seinem "Idomeneo" herumgebastelt, Partien umgeschrieben, Szenen umgestellt. Auf welche Szenenfolge haben Sie sich mit Bertrand de Billy geeinigt?

Brieger: Die Grundlage ist die Münchner Fassung. Beim 1. Akt ist der Ablauf perfekt, da musste nur die Positionierung des Chores diskutiert werden. Auch beim 2. Akt haben wir nur minimal eingegriffen. Schwierig ist der Schluss des 3. Akts: Wir finden, dass die dritte Elettra-Arie nicht nur musikalisch einen Höhepunkt des Stücks darstellt, sie ist auch aus dramaturgischen Gründen notwendig, um einen Kontrast zur finalen Jubelfeier zu bekommen. Die letzte Idomeneo-Arie ist schwach, die musste raus; das Accompagnato mit seinen langen Pausen zeichnet die Erzwungenheit des Machtabtritts von Idomeneo mehr als deutlich.

STANDARD: Ist es schwer, den "Idomeneo" zu inszenieren - die vielen Chöre, die Ensembles? Ist da nicht enorm viel Detailarbeit nötig?

Brieger (seufzt): In der Tat, das ist es. Ich habe ja schon etliche Opern mit Riesenchören gemacht, aber in so eine Zeitnot wie hier bin ich noch nie gekommen. Mal ist der Chor ein handelnder, individualisierter, dramatischer wie im 2. Akt, dann agiert er wieder plateauhaft und kommentierend.

STANDARD: Intrigen, große Emotionen und 180-Grad-Wendungen im Minutentakt: Waren die Sagen des klassischen Altertums eigentlich die Daily-Soaps von Vorvorgestern?

Brieger: Das kann man so sehen; und vor allem in den Barockopern wurde der Stoff mitunter so umgesetzt. Mozart schafft es aber, dieses cartoonhafte Benützen der Oberflächenformen des historischen Materials zu durchbrechen, es quasi von innen heraus zu beleuchten, es menschlich werden zu lassen. Das ist das Schwierige: Mozarts Figuren sind nur über die Identifikation zu erspielen und zu ersingen, sonst verkommen sie zu Gipsfiguren. STANDARD: Ist das Theater an der Wien auch aus Ihrer Sicht ein ideales Haus für Mozart?

Brieger: Definitiv. Die Dimensionen sind ideal, es entwickelt sich hier eine ganz eigene Kraft. Der Klang ist enorm plastisch, der Sänger auf der Bühne steht in einem idealen Verhältnis zum Theaterraum. Das ist nicht überall so. Nächstes Jahr mache ich die Così in diesem Riesenschuppen in San Francisco, und ich fürchte mich schon.

STANDARD: Wie hat die Arbeit mit Bertrand de Billy geklappt?

Brieger: Er ist eigensinnig, ich bin eigensinnig, dass es nicht konfliktfrei abgeht, ist klar. Bertrand verteidigt jede Note, ich muss an die Gesamtdramaturgie denken. Es ist ein produktives Ringen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.8.2003)