Buchautor und Patchworkvater Malte Roeper im Gespräch mit derStandard.at/Familie.

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"Wenn Kinder draußen spielen, werden Sinne besser ausgebildet": Roepers Tochter Txori balanciert über einen Baumstamm.

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Roeper mit Txori beim Holzhacken: "Man darf Kindern etwas zutrauen und zumuten."

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Malte Roeper
Kinder raus!
Zurück zur Natur: Artgerechtes Leben für den kleinen Homo sapiens
Südwest Verlag 2011
144 Seiten, 19,99 Euro

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"Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte." Diesen Satz von Bertolt Brecht hat der deutsche Autor und Dokumentarfilmer Malte Roeper seinem 2011 im Südwest-Verlag erschienenen Buch "Kinder raus" als Motto vorangestellt. Das Buch ist mittlerweile vergriffenen. Für teils heftige Diskussionen sorgte der heute 50-Jährige aber mit anderen Ansagen. Etwa: "Wir haben genetisch gesehen verdammt wenige Generationen von Menschen." So gesehen erwarte "ein Menschenjunges keinen Teppichboden, sondern einen Wiesen- oder Waldboden. Wenn ich ein Tier halte, versuche ich auch, dem Tier die Umgebung so zu gestalten, wie es diese draußen auch hat", sagte er in einem Interview mit dem STANDARD im Jahr 2011. So etwas kann leicht sozialdarwinistisch verstanden werden, das wusste Roeper damals schon.

Gemeint war freilich etwas ganz anderes: "Das Spielen in der Natur ist unverzichtbar wie Essen und Trinken." Ein Prinzip, das der Patchwork-Vater selbst umsetzen will. Roeper hat eine Stieftochter, die seine erste Frau in die Ehe mitgebracht hat, zwei eigene Töchter und zwei weitere Kinder, die seine aktuelle Partnerin in die Beziehung mitbringt. So oft es geht, verlässt er das oberbayerische Traunstein und ist mit dem Nachwuchs auf der Hütte seiner Schwester in den Tiroler Bergen. Dort habe er beispielsweise begonnen, mit den Kindern draußen "unter dem Sternenhimmel" zu übernachten. Die Kinder hätten angebissen, erzählt er. Und zwar so, dass sie später "bei minus 20 Grad" auch auf der Veranda schlafen wollten. Das Vorhaben sei an der Qualität der Schlafsäcke gescheitert.

Es geht auch ohne Handy

Dass er auch Fehler gemacht hat, räumt Roeper freimütig ein. So habe er beispielsweise die Älteste (sie ist heute 20 Jahre alt) mit sportlichen Aktivitäten regelrecht getriezt. Als ehemaliger Leistungssportler – Roeper war einst ein Star der deutschen Kletterszene – wollte er seine Begeisterung einfach weitergeben. Das Ergebnis: Heute verweigert die junge Frau jeden Sport. Roepers Lehre daraus: Es gehe vielmehr darum, "die Kinder mit Aktivitäten und Themen vertraut zu machen. Dann können sie später im Leben darauf zurückgreifen."

"Kinder brauchen eine Grundausbildung", wie es Roeper formuliert. Und um Missverständnissen vorzubeugen: "Grundausbildung" sei keinesfalls militärisch gemeint. Sondern sie sollten mit sozialen und körperlichen Grundfertigkeiten ausgestattet sein, dann kämen sie später in der technisierten Welt besser zurecht. In der Prägungsphase wären "allzu viele Displays" – also Computer und Handys – hinderlich. Dass es später nicht ohne Handys geht, weiß Roeper aber. Seine Zweitälteste habe natürlich ein Mobiltelefon, "denn die Kommunikation läuft einfach so, und ohne Handy bist du aus dem sozialen Netz draußen." Aber in jungen Jahren sei das Spielen im Freien "einfach gut für alles". Die Sinne würden besser ausgebildet und das Sozialverhalten profitiere, wenn sich die Kinder selbst organisieren und ohne Beisein der Eltern treffen.

Die Abwesenheit von Erziehung

Roeper räumt ein, dass auch bei ihm manchmal Angst mitschwingt. Wenn eine seiner Töchter beim Schwammerl-Suchen allein nach Hause gehe, sei ihm manchmal mulmig zu Mute. Aber "Kinder sind selbstständig", lautet sein Credo. Man könne ihnen auch Dinge erlauben, vor denen sie selbst Angst und Respekt haben. Dann würden im Fall der Fälle notwendige Grenzen viel eher akzeptiert. Man müsse Kindern nicht alles vorexerzieren und ihnen schon gar nicht als letzten verbliebenen Wert "den Mühlstein der eigenen Sinnstiftung" umhängenl. Glaube oder Ideologien seien für viele Menschen ja längst weggefallen, sagt Roeper.

Sein Konzept nennt er heute die "Abwesenheit von Erziehung". Statt einem "Regelkanon", bei dem sich die Eltern nur selbst inszenierten, bräuchten Kinder Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Und sie bräuchten "möglichst viel Zeit zum Spielen". Denn: "Überförderung nimmt Freiheit". Mit diesem Thema wollte sich Roeper in einem Nachfolgebuch von "Kinder raus!" beschäftigen. Einen Titel hatte er schon: "Lassen Sie Ihr Kind in Ruhe!" Die Antwort eines der angefragten Verlage war auch nicht ohne: Erziehungsratgeber würden nur gekauft, wenn sie von einer Frau geschrieben sind. Nun schreibt Malte Roeper ein Drehbuch fürs Fernsehen – es handelt von der Bergwelt. (Thomas Neuhold, derStandard.at, 8.10.2013)