Sascha Ernszt: "Manche wollen eine einfache Tätigkeit ausüben und dann nach Hause gehen und das Leben genießen."

Foto: ÖGJ/Lisa Lux

Jeder sechste Lehrling bricht in Österreich seine Lehre vorzeitig ab (derStandard.at berichtete). Dass es für diese Jugendlichen kein zufriedenstellendes Auffangbecken gibt, kritisiert Sascha Ernszt (FSG), Vorsitzender der Gewerkschaftsjugend. Ernszt übt außerdem Kritik am Modell der außerbetrieblichen Lehrwerkstätten. Diese seien unterfinanziert, oft fehle es an Personal und an Werkmaterialien.

derStandard.at: Jeder sechste Lehrling bricht hierzulande seine Lehre ab. Überrascht Sie diese Zahl?

Ernszt: Ich habe eigentlich gedacht, wir sind auf einem guten Weg, da schon einige Maßnahmen ergriffen wurden. Wir müssen das besser analysieren und schauen, was wir verbessern können.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich die hohe Ausstiegsrate?

Ernszt: Es gab schon bessere Zeiten. Ein wesentliches Problem wurde bis heute nicht gelöst. Viele machen irgendwas, weil sie in ihrem Wunschberuf keine Lehrstelle finden. Nur: Bei diesem Irgendwas ist die Luft dann relativ schnell raus. Viele nehmen dann einen Job als Hilfsarbeiter an, weil er besser bezahlt ist als die außerbetriebliche Lehre mit 270 Euro im Monat. Ich vertrete die Meinung, dass man seinen Wunschberuf erlernen können soll. Es liegt auch an der Wirtschaft, Lehrberufe attraktiver zu gestalten. Viele Jugendliche entscheiden sich für Berufe, die die Eltern oder Freunde ausüben. Die Berufsorientierung muss ausgebaut werden.

derStandard.at: Die Berufsorientierung in den Schulen auszubauen ist eine alte Forderung, die von der Politik offenbar nicht gehört wird.

Ernszt: Den großen Wurf hat es bisher nicht gegeben. Es liegt auch an uns, der Gewerkschaft, dass wir Themen vorantreiben. Wir haben Lösungsansätze, nur von der Wirtschaft hören wir dann immer, diese seien nicht leistbar. Wir fordern einen Ausbildungsfonds, in den alle Betriebe, die theoretisch Lehrlinge ausbilden könnten, einzahlen. Wer dann auch tatsächlich Lehrlinge ausbildet, sollte aus diesem Fonds wieder etwas bekommen. In Vorarlberg funktioniert das etwa mit dem Metallerverbund. Die Lehre hat dort aber auch einen höheren Stellenwert als im Rest Österreichs. Lehrlinge gelten oft als ein Klotz am Bein, der gütigerweise ausgebildet wird.

derStandard.at: Warum verzeichnet man die größten Abbruchraten bei der außerbetrieblichen Lehrlingsausbildung?

Ernszt: Viele beschweren sich bei der außerbetrieblichen Lehrlingsausbildung, dass sie nicht lernen, was sie erwartet haben. Am Jahresende ist dann oft kein Geld mehr da für die Ausbildner, es fehlt auch das Geld für die Materialien. Wenn kein Budget mehr vorhanden ist, gibt es zum Beispiel bei den Floristen keine Blumen mehr. Dass der Staat die Lehrlingsausbildung übernehmen will, ist ein schönes Konzept. Aber in Wirklichkeit gehört die Lehrlingsausbildung dorthin, wo sie immer war: in den Betrieb.

derStandard.at: Ist das Modell der außerbetrieblichen Lehrlingsausbildung gescheitert?

Ernszt: Nein. Viele Jugendliche sind froh, dass sie überhaupt die Möglichkeit haben, einen Beruf zu erlernen. Man müsste aber die Betriebe stärker in die Verantwortung nehmen. Der Staat bildet die Jugendlichen aus, die die Betriebe selbst nicht ausbilden. Die Betriebe müssen auch ein Stück weit die Verantwortung für diese Jugendlichen übernehmen. Schließlich profitieren sie in weiterer Folge von ihnen als ausgebildeten Fachkräften.

derStandard.at: Wenn es in den außerbetrieblichen Lehrwerkstätten an Arbeitsmaterialien fehlt, ist es doch fraglich, wie zielführend diese Ausbildung ist.

Ernszt: Statt der Praxis gibt es dann mehr Theorieunterricht. Es wäre schön, wenn die Betriebe diesen Jugendlichen ein Praktikum anbieten könnten. Stattdessen sitzen sie im Kurs und warten auf die Blumen. In Wirklichkeit wollen sie aber eine Lehrstelle. In den außerbetrieblichen Lehrwerkstätten werden Betreuer eingespart, was problematisch ist, wenn Jugendliche intensivere Betreuung brauchen würden, etwa weil sie zwei Jahre auf der Straße gelebt haben.

derStandard.at: Was passiert mit all den Jugendlichen, die die Lehre abbrechen?

Ernszt: Viele suchen sich einen Hilfsarbeiterjob, viele sind arbeitslos. Doch die Gesellschaft muss schauen, dass diese Jugendlichen aufgefangen werden, dass sie ihre Lehre fertigmachen oder einen anderen Beruf erlernen.

derStandard.at: Was aber nicht geschieht.

Ernszt: In ihren Reden ist die Politik sehr wohl dahinter. Aber es fehlt an den Taten.

derStandard.at: Kann es sein, dass manche Jugendliche ihre Lehrstellen leichtfertig verlassen?

Ernszt: Das glaube ich nicht. Auch das Gerücht, dass Jugendliche immer fauler werden, ist nicht zutreffend. Aber was wir beobachten: Die Jobs werden immer anspruchsvoller. Die niedrig qualifizierten Jobs, wie den Kistenschlichter, gibt es nicht mehr. Aber es gibt Menschen, die einfach nur von sieben bis um vier Uhr am Nachmittag ihre Arbeit machen wollen. Manche wollen eine einfache Tätigkeit ausüben und dann nach Hause gehen und das Leben genießen. Das kann man niemandem verübeln. Diese Leute brauchen aber trotzdem Jobs und drängen nun eben in den qualifizierteren Arbeitsbereich.

derStandard.at: Derzeit finden die Regierungsverhandlungen statt. Hat die Gewerkschaftsjugend einen Auftrag an die Regierung?

Ernszt: Wir sind in Österreich in der glücklichen Lage, dass Gewerkschafter auch im Parlament vertreten sind, und wir deponieren unsere Forderungen auch an oberster Stelle. Wir fordern, dass Maturakurse während der Arbeitszeit und nicht erst danach stattfinden. Außerdem soll die Lehrabschlussprüfung auf mehrere Module aufgeteilt werden. So könnte man die Qualität in der Lehre steigern, weil besser überprüft wird, ob die Lehrlinge tatsächlich entsprechend ausgebildet werden. Wir wollen außerdem die gemeinsame Schule und einen Mindestlohn von 1500 Euro. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 22.10.2013)