Familiengeschichten aus dem Chile der Elterngeneration: "The Year I Was Born" als österreichische Erstaufführung im Brut. 

Foto: David Alarc

Für Lola Arias ist Theater ein "Werkzeug zur Rekonstruktion vergangener Ereignisse", wie sie in einem Standard-Gespräch im Vorjahr sagte. Die argentinische Performancekünstlerin, 1976 in Buenos Aires geboren, dem Jahr, in dem sich nach einem weiteren Militärputsch die Videla-Diktatur installierte, rollt die Themen ihres Geburtslandes vor allem über biografische Erfahrungen auf. Die Bedrängnis politischer Gegner ist bis heute nicht aufgearbeitet, der landesinnere Terror hat Spuren hinterlassen, die an einzelnen Lebensgeschichten ablesbar sind.

Lola Arias bearbeitet dieses Themenfeld seit Anfang des Jahrtausends und geht dabei vor allem der Tatsache nach, wie sehr Staatspolitik bis in den eigenen Körper vordringt. In den vergangenen Jahren hat sich die spartenübergreifend arbeitende Künstlerin auch in Europa als spannende Theatermacherin positioniert. Sie macht im Übrigen auch Musik und hat ein ausgewiesenes schreiberisches Talent, das in mehrere auch ins Deutsche übertragene Bücher gemündet ist.

Im Stück Mein Leben danach (2009; auch in Buchform erhältlich, Verlag der Autoren) haben sechs Schauspieler die Jugend ihrer eigenen Eltern in den argentinischen 1970er-Jahren rekonstruiert - mit Fotos, alten Kleidern, Tonbandaufnahmen und Briefen. Melancholie und Protest wiederum behandelte die Erkrankung von Arias' Mutter unmittelbar nach dem Militärputsch und hatte 2012 bei den Wiener Festwochen Uraufführung.

Die jüngste Arbeit, The Year I Was Born (in spanischer Sprache mit deutschen Übertiteln), knüpft nun an das Konzept von Mein Leben danach an und behandelt das Aufwachsen zur Zeit der Diktatur in Chile. Hierbei stellen elf chilenische Künstlerinnen und Künstler, die während der Diktatur Pinochets geboren wurden, das Leben ihrer Eltern nach: Es geht um die Flucht ins Exil, um Prozesse, Mord. Österreichische Erstaufführung ist im Brut-Künstlerhaus.

Lola Arias' semidokumentarischer Ansatz erinnert an Projekte der deutsch-schweizerischen Gruppe Rimini Protokoll. Auch sie lädt dokumentarische Formen mit poetischen Mitteln auf. Es geht freilich nicht immer um argentinische Zeitgeschichte. Ein gutes Beispiel für ihr grundlegendes Interesse an (fremd-)geformten und determinierenden Familienstrukturen ist etwa auch Familienbande (2009). Hierfür hat sie die biografischen Eckdaten einer deutschen Schauspielerin fiktionalisiert. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 6.11.2013)