John Gurdon arbeitet aktuell daran, herauszufinden, warum Körperzellen so bemerkenswert stabil sind.

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STANDARD: Wie kam es zu dem Versuch, ein Tier zu klonen?

Gurdon: Die Idee kam von meinem Doktorvater. Die Experimente waren der Ersatz für mein ursprüngliches Projekt, das aber nicht funktionierte. Wir gingen der Frage nach, ob alle Zellen des Körpers dieselben Gene besitzen. Es gab damals die Meinung, dass dies möglicherweise nicht so ist und spezifische Gewebezellen unterschiedliche Genome haben, die für ihre Funktion spezialisiert sind. Es gab aber keinen Test, um diese Hypothese zu bestätigen.

STANDARD: Wie sind Sie an die Sache herangegangen?

Gurdon: Die Idee war, dass, wenn die DNA einer ausdifferenzierten erwachsenen Zelle nach dem Transfer in eine Eizelle wieder zur Entwicklung eines gesamten Organismus führen kann, dann müssen alle DNA- Bausteine für jede Zelle auch in allen anderen Zelltypen vorhanden sein. Wir waren die Ersten, die zeigen konnten, dass dies tatsächlich der Fall ist und eine neue Kaulquappe aus einem Körperzellkern wachsen kann. Die Methode des Zellkerntransfers kannte man schon länger, bei ersten Versuchen hat das Experiment aber nicht funktioniert.

STANDARD: Hatten Sie und Ihre Kollegen Zweifel an Ihren Resultaten?

Gurdon: Nach den ersten Ergebnissen kam es zu Diskussionen vor allem mit meinem Doktorvater, der durch meine Ergebnisse die vorhergehenden Resultate bestätigt sah. Ich war genau gegenteiliger Meinung. Auch als wir die Ergebnisse publizierten, gab es starke Zweifel und Kritik vonseiten anderer Wissenschafter.

STANDARD: Wie haben Sie reagiert?

Gurdon: Ich musste meine Sicht der Dinge verteidigen, aber genau dieser Zweifel und die Diskussion sind ein wichtiger Teil des wissenschaftlichen Fortschritts. Ein guter Wissenschafter muss immer darauf gefasst sein, zu hören, dass seine Behauptungen inkorrekt sind. Ich glaube auch nicht, dass es so etwas wie den ultimativen Beweis gibt. Es gibt nur Dinge die mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit richtig sind.

STANDARD: Für Ihre Experimente erhielten Sie den Nobelpreis. Es war aber zunächst unklar, welches Potenzial die Technik haben würde. Welche Lehren lassen sich daraus ziehen?

Gurdon: Unsere Experimente sind ein sehr gutes Beispiel dafür, dass man manchmal eine simple wissenschaftliche Frage beantworten will und dabei ganz neue Türen für weitere Anwendungen geöffnet werden. Das sollte man bei der Vergabe von Forschungsgeldern immer im Auge behalten. Außerdem muss man der Öffentlichkeit vermitteln, was man tut. Hätten wir damals zu früh aufgegeben oder die Gelder gestrichen, hätten wir die neuen Möglichkeiten nie gesehen.

STANDARD: Wird es in näherer Zukunft eine therapeutische Anwendung von geklonten oder reprogrammierten Stammzellen geben?

Gurdon: Es gibt schon heute eine Anwendung dieser Zellen, die kurz davor steht, als Behandlung zugelassen zu werden. Wenn bei altersbedingter Makula-Degeneration die Retinazellen des Auges absterben, kann man sie durch reprogrammierte und im Labor vermehrte Pigmentzellen ersetzen und ein gewisses Sehvermögen wieder herstellen. Dies funktioniert aber auch deswegen so gut, weil nur relativ wenige - einige 10.000 Zellen - benötigt werden und die Implantierung der neuen Zellen in die Netzhaut sehr einfach ist. Für die Regeneration des Herzmuskels nach einem Herzinfarkt mit Muskelzellen brauchte man 100.000-mal mehr Zellen. Das ist kompliziert und riskant.

STANDARD: Wenn man Zellen so einfach im Labor umprogrammieren kann, warum sind sie in unserem Körper so stabil?

Gurdon: Körperzellen sind bemerkenswert stabil. Eine Blutzelle bleibt eine Blutzelle und wird nicht plötzlich zu etwas anderem. Bis dato wissen wir nicht genau, warum das so ist. Mit unseren gegenwärtigen Forschungsprojekten versuchen wir herauszufinden, welche Faktoren dazu beitragen. Dies ist auch interessant für andere Forschungsfelder.

STANDARD: Zum Beispiel?

Gurdon: Bei Krebs etwa kommt es zu einer gewissen Umprogrammierung von Zellen, Tumorzellen nehmen Eigenschaften an, die normale stabile Zellen nicht haben. Hier könnte uns ein größeres Verständnis davon, wie Stabilität von DNA aufrechterhalten wird, neue Erklärungsmodelle bringen. Eine Möglichkeit, Krebszellen wieder zu korrigieren, wäre sie zu einer normalen Zelle zurückzuprogrammieren. In Zukunft könnte man Tumorzellen mit gezielten Faktoren sozusagen dazu zwingen, ihre bösartige Entwicklung rückgängig zu machen. Dieser Ansatz scheint vielversprechend.

STANDARD: Einen wesentlichen Teil Ihrer Forschungstätigkeit verbrachten Sie in Cambridge am legendären Molecular Biology Lab, das allein in dieser Zeit mehr als fünf Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Was machte diesen Ort damals so besonders?

Gurdon: Das war wirklich ein bemerkenswertes Arbeitsumfeld. Die Person, die dahinter stand und alle diese großen Köpfe zusammenbrachte, war ein geborener Österreicher: der Chemiker Max Perutz, ein ganz wunderbarer Mann. Er war es, der mich einlud, am Institut zu arbeiten. Es macht mich traurig, dass ihm in Österreich erst so spät die gebührende Ehre zuteil wurde. (Julia Riedl, DER STANDARD, 13.11.2013)