Die Sängerin Janina Baechle kommt jährlich auf ungefähr 50 Auftritte - "Das ist eine gute, humane Größe."

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Ein Gespräch über zauberkräftige Frauen, den Spaß an Pausen und den Reiz, sich auf der Bühne zu verwandel. 

STANDARD: Die Azucena, die Sie im "Troubadour" geben, ist eine heftige Figur: Sie musste zusehen, wie ihre Mutter auf dem Scheiterhaufen verbrannt ist, und sie hat ihr Kind im Wahn ins Feuer geworfen. Kann man solche Erlebnisse glaubhaft nachempfinden?

Baechle: Als Mensch kann ich das nicht. Aber ich versuche mir schon, die Situationen vorzustellen: Wie es etwa vor diesem Scheiterhaufen gestunken haben muss. Die Darstellung der Partie geht jedoch wirklich tief. Nach der Klavierhauptprobe konnte ich mich kaum mehr rühren, ich war komplett leer. Das ist mir eigentlich fast noch nie passiert.

STANDARD: Diese Geschichte ereignet sich im Mittelalter, der Zeit der Inquisition und der Hexenverbrennungen. Die Figurengruppe der zauberkräftigen Frauen hat sich vor allem in der romantischen Oper hartnäckiger Beliebtheit erfreut. Sie haben Geschichte und Musikwissenschaften studiert: Sind diese Figuren nur ein Zeichen für ein reaktionäres Bild der "teuflischen" Frau? Oder sehen Sie diese Frauen mit ihren Fähigkeiten jenseits der Ratio positiv?

Baechle: Ich glaube, dass das Unverständliche auf diese Frauen ausgelagert wurde. Das waren ja oft Heilerinnen, Hebammen - Frauen, die Qualitäten hatten, die man heute mit esoterischen Fähigkeiten beschreiben würde, Frauen, die in Bezug sind zur Natur. Für mich ist das so: Wann immer ich eine Hexe spielen muss, ist das für mich erst einmal eine Person.

STANDARD: Sie haben die Azucena ja bei Ihrem Vorsingen an der Wiener Staatsoper gesungen ...

Baechle: ... genau! Wo Holender dann sagte: Frau Baechle, deutsches Fach ...

STANDARD: ... und Sie waren von 2004 bis 2010 Ensemblemitglied des Hauses, wo Sie bisweilen an die 80 Abende pro Saison gesungen haben. Wie resümieren Sie diese Zeit?

Baechle: Ich kam nach Festengagements aus Braunschweig und Hannover nach Wien. In Deutschland hatte ich ja schon große Rollen gesungen - die Amneris, die Geschwitz; in Wien ging ich erst einmal wieder in die zweite Reihe zurück zu den dritten Mägden und dritten Damen. Ich hatte dann das Glück, dass ich nicht nur durch diesen Einspringer für die Baltsa (2006 als Ortrud in "Lohengrin", Anm.), sondern auch aufgrund meiner Zuverlässigkeit auch recht schnell wieder größere Rollen gesungen habe, an der Seite toller Kollegen. Aktuell habe ich einen Residenzvertrag mit der Staatsoper und singe einige Wiederaufnahmen und Premieren.

STANDARD: Sie machen jetzt an der Volksoper die Azucena, im April an der Pariser Opéra Bastille die Brangäne, im Juni an der Staatsoper die Erda. Auf wie viele Auftritte kommen Sie pro Saison im Schnitt?

Baechle: Auf ungefähr 50 - inklusive der Liederabende, die ich liebe, die aber sehr vorbereitungsintensiv sind. Das ist eine gute, humane Größe. Aber es ist auch so - ich weiß nicht, ob man das öffentlich sagen darf: Ich lebe auch einfach sehr gerne! Ich mag es, wenn ich einfach mal eine Woche nur zu Hause bin, bei meinem Mann; er arbeitet, ich lerne in Ruhe die nächste Partie oder einige Lieder. Und bin eben nicht irgendwo in irgendeinem Hotel. Es gibt Kollegen, die diese sogenannte Karriere viel mehr verfolgen. Bei mir kam es immer so, wie es soll.

STANDARD: Wie haben Sie die Proben an der Volksoper erlebt?

Baechle: Die Stimmung war sehr familiär. Die Mischung zwischen Kollegen, die ihre Partien schon öfter gesungen haben, und Rollendebütanten ist ausgewogen. Dietrich Hilsdorf, der Regisseur, war sehr offen, wenn man eigene Ideen eingebracht hat. Ich bin diesbezüglich ja ganz schlimm: Ich biete immer so viel an ... (lacht)

STANDARD: In Ihren Anfängen, als Sie an der Hamburgischen Staatsoper eine Sklavin in der "Aida" gesungen haben, sollen Sie nach den ersten Proben auf einer Hinterbühne begeistert zu Ihrer Mutter gesagt haben: "Das ist es!" Ist es das noch immer? Was ist für Sie eigentlich das Faszinierende an Ihrer Operntätigkeit?

Baechle: Es ist zum einen die Möglichkeit, sich komplett verwandeln zu können. Auf der Opernbühne ist man immer eine andere. Dann ist es die Zusammenarbeit auf der Bühne: Wenn es nicht gut läuft, ist man unzufrieden mit den Kompromissen, die man machen musste; aber wenn es gut läuft, dann ist es ein Wunder, was da passiert. Manchmal entsteht aus dem, was vom Dirigenten, vom Orchester, von den Kollegen, vom Licht, den Kostümen und auch vom Publikum kommt, etwas, das magisch ist. Das gibt es nur in der Oper. (Stefan Ender, DER STANDARD, 14.11.2013)