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Der alte König und sein verwüstetes Reich: Tenor Richard Croft (als Idomeneo) im Theater an der Wien.

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Wien - Blut und Erdboden - nicht im vertrottelt rassistischen Sinne natürlich - haben es Regisseur Damiano Michieletto angetan: Die Erde, die er bei Idomeneo auf die Bühne schütten ließ, wird zum Friedhof der Gefallenen, an die nur noch zahllose wirr verstreute Stiefel erinnern. Das schwarze Erdfeld ist allerdings auch ein Schlachtfeld der Seelen, auf dem die schuldbeladenen Figuren lange vergeblich um innere Balance ringen.

Zuvorderst der aus Troja zurückkehrende König Idomeneo: Michieletto lässt ihn auf einem kargen Bett (Bühnenbild: Paolo Fantin) herbeispülen - als von seinen Kriegstaten geplagten Albträumer. Dämonen quälen ihn jedoch noch im wachen Wahnzustand, womit Michieletto Blut, seine zweite fixe Regieidee, zum Einsatz bringt: Zwei Figuren besudeln den Kriegsherrn mit rotem Saft - vollendet ist die Figur eines gebrochenen Herrschers, der seine Rückkehr auch noch einem grässlichen Geschäft verdankt.

Neptun hat Idomeneo das rettende Ufer nur gegen das Versprechen erreichen lassen, den Ersten, den der Heimkehrer bei seiner Landung erspäht, als Menschenopfer darzubringen. Da es sich beim Erstgesichteten um einen sehr nahen Verwandten, nämlich Sohn Idamante handelt, wird auch Idomeneos Willkommensfest zum Desaster. Der alte König fällt aus der Feierrolle und zerlegt anfallsartig die zu seinem Ehren sorgfältig inszenierte Festtafel. Es bleibt diese Verwüstung kein Einzelfall: Schließlich zieht vor jener Flucht, die Idomeneo für die Rettung des Sohnes vorsieht, ein letaler Sturm samt verursachendem Ungeheuer auf, das die zürnende Wassergottheit schickt.

So torkeln wiederum blutverschmierte Leidensmassen auf dem Erdboden herum. Und da sie Juckreiz befällt, ist anzunehmen, dass dieses lästige Hautgefühl jenes Stürme verursachende Monstrum repräsentiert.

Evident ist, dass die Regie genau gearbeitet hat und - was Seelenplagen anbelangt - nicht nur bei Idomeneo Sorgfalt hat walten lassen: Subtil agiert Tenor Richard Croft (als Idomeneo). Und wenn seine Stimme auch kein imposantes Volumen zeigt, ist sie doch elegant und wendig bei Koloraturen. Zum anderen passt ihr leichter, kultivierter Duktus, der ganz exquisit (auch innerhalb einer Note) zwischen Nonvibrato und diskretem Vibrato changiert, ideal zu einer filigranen Figur, die schließlich auch das Zeitliche zu segnen hat.

Nicht nur Idomeneo also, auch Idamante (souverän: Gaella Arquez) hat Michieletto verstärkt in Konfliktzonen eintreten lassen: Hier wird eine spezielle Vater-Sohn-Geschichte geschildert, die schon zur Ouvertüre filmisch (Rocafilm) angedeutet wird (Vater zieht hilflosen Sohn an). Am Ende geht die Macht von Idomeneo somit nicht nur einfach auf den Sohn über. Es handelt sich dabei um einen befreienden Akt des Erwachsenwerdens.

Der Regie geht es indes nicht nur ums Vergehen. Sie will auch das Entstehen zelebrieren, dem Tod die Geburt gegenüberstellen. Im Optimistischen schlägt sie jedoch reichlich über die Stränge, was ihr Konzept etwas beschädigt. Dabei mag die schwangere Ilia (passabel: Sophie Karthäuser) als geschundenes, Idamante zugetanes Wesen szenisch durchaus aufrütteln; mag die destruktive Elettra (grandios: Marlis Petersen) als kaufsüchtige Blondine, die sich zu einer im Schlamm sich wälzenden Selbstmörderin wandelt, als Exempel konsequenter Regiedrastik berücken.

Eine Bühnengeburt

Dass La Voce, das Orakel, in Form eines riesigen Ultraschallbildes, das einen Embryo zeigt, präsentiert wird und dass schließlich Ilia auch noch auf offener Bühne eine Geburt zu erschreien hat - das landete in seiner plakativen Grundwirkung jedoch an der Lächerlichkeitsgrenze. Schade, aber immerhin: Michieletto zeigt mit dieser Arbeit, dass er nicht nur ein Mainstream-Virtuose ist (sein Salzburger Falstaff), sondern auch Risiko zu nehmen bereit ist.

Musikalisch war dann aber keine Übertreibung zu bemerken: Zum ausgewogenen stimmlichen Bild, dessen Ausstrahlung auch der Schönberg-Chor, Julien Behr (als Arbace) und Mirko Guadagnini (Gran Sacerdote di Nettuno) bereicherten, kam die historisch kundige Verlässlichkeit von Dirigent René Jacobs. Mit dem glasklaren Freiburger Barockorchester zelebrierte er akzentuiert alle motivischen Partiturfeinheiten. Jacobs setzte auf knapp phrasierenden Zugang, er verstand es jedoch auch, eine akkordisch-klangliche Flächigkeit sinnvoll zu zelebrieren, die bereichernd glänzte.

Applaus für alle, ein paar Buhs für Michieletto. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 15.11.2013)