Banaszczuk: "In Hamburg wollten wir eine Lehrlingsgruppe gründen. Wir haben zwei Monate lang gesucht, aber bei uns keinen einzigen Lehrling gefunden."

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Ihr Austritt aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) sorgte auf Facebook und Twitter für rege Diskussionen: Anfang November machte Yasmina Banaszczuk, Hamburger SPD-Mitglied, in einem Blogeintrag ihrem Ärger über autoritäre Parteistrukturen Luft: Ihr reiche es jetzt, sie trete aus, so Banaszczuk. Montagabend war die 28-Jährige bei der Wiener SPÖ-Sektion 8 zu Gast, um die österreichischen Sozialdemokraten bei ihrem Bemühen um eine Urabstimmung über den rot-schwarzen Koalitionspakt zu unterstützen. Eine Partei, die nach außen hin immer einheitlich auftreten möchte, schade sich damit selbst, sagt die Ex-SPDlerin im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Teile der SPÖ verlangen eine Urabstimmung über den Koalitionspakt mit der ÖVP. Die Parteispitze ist gegen eine Abstimmung. Verstehen Sie das?

Yasmina Banaszczuk: Ich würde der Parteispitze raten, den Dialog mit der Basis zu suchen. Es gibt offensichtlich ein hohes Bedürfnis danach, die Werte der SPÖ in die Koalition zu tragen. Der Basis würde ich raten, unabhängig vom Ergebnis der Petition ihr Streben nach mehr innerparteilicher Demokratie weiterzuführen.

derStandard.at: Sie haben selbst in der SPD für mehr Demokratie gekämpft, ein Mitgliederbegehren initiiert - und sind dann enttäuscht aus der Partei ausgetreten.

Banaszczuk: Ja, das Parteibuch ist abgeschickt, ich bin draußen. Der Grund meines Austritts war, dass die Strukturen in der Partei extrem starr sind und gewisse Netzwerke begünstigen - männlich geprägte Netzwerke ab einem gewissen Alter mit einem gewissen Bildungsstandard. Jobs werden in der SPD nicht einmal intern ausgeschrieben. Irgendwann erfährt man, dass da jemand eingestellt wurde, weil er jemanden kannte. Wenn es das auf dem Arbeitsmarkt gäbe, wäre die SPD die erste Partei, die sagt: Das widerspricht unseren Vorstellungen von Chancengleichheit.

derStandard.at: Wie waren in der Partei die Reaktionen der Parteikollegen auf Ihren Austritt?

Banaszczuk: Zu neunzig Prozent sehr positiv. Ich habe hunderte Nachrichten bekommen, von Teenies bis hin zu Achtzigjährigen, von Basismitgliedern bis hin zu Bundestagsabgeordneten. Alle haben gesagt: Ich kann deine Analyse teilen. Viele denken, dass die Partei  wegen ihrer mangelnden innerparteilichen Demokratie ein Glaubwürdigkeitsproblem hat.

derStandard.at: Warum protestiert dann niemand?

Banaszczuk: Manche haben sich emotional zurückgezogen, eine Art innere Kündigung. Andere sagen, sie harren noch aus bis zum Votum zur großen Koalition. Andere wiederum sagen, sie sind zwar noch drin, aber werden erst gar nicht versuchen, sich groß einzubringen, weil es bringt ja eh nichts.

derStandard.at: Auch in der SPÖ gibt es Kritik an mangelnder innerparteilicher Demokratie. Kann eine große Partei überhaupt geschlossen auftreten, ohne an Offenheit zu verlieren?

Banaszczuk: Ich glaube schon. Das Problem ist, dass die Parteispitze Angst vor der Basis hat, sie befürchtet, dass die Basis eh nur Krawall machen will. Aber da liegt sie falsch. Die Basis ist lebhaft, vielfältig, oft sehr engagiert - die Leute wollen einfach nur ernst genommen werden. Wir brauchen zum Beispiel die Möglichkeit, online zu partizipieren, um Leute aufzufangen, die nicht so viel Zeit haben, ständig auf Parteitreffen zu fahren. Eine Partei lebt von Diskussionen, und oft ist die Diskussion mehr wert als das, was am Ende beschlossen wird.

Wenn ich jemanden habe, dessen Meinung ich nicht teile, mit dem ich aber sehr engagiert und konstruktiv diskutieren kann, dann war das am Ende für beide Seiten bereichernd - auch, wenn am Ende eine Position festgelegt wird. Aber diese Diskussion findet oft gar nicht mehr statt. Es gibt eine große Sehnsucht der Basis, ernster genommen zu werden. Das Glaubwürdigkeitsproblem existiert ja nicht nur nach innen, sondern auch nach außen.

derStandard.at: Sie meinen, mangelnde innere Demokratie schadet der Partei auch nach außen hin, beim Kampf um Wählerstimmen?

Banaszczuk: Ja, es ist Vertrauen kaputtgegangen, innen und außen. Das habe ich im Wahlkampf öfters gehört: Die Leute meinten, wählen bringe nichts, "die machen dann eh, was sie wollen". Politik hat im letzten Jahrzehnt viel versprochen und viel an Glaubwürdigkeit verloren. Vertrauen muss man sich hart wieder erarbeiten, das geht nicht über Nacht.

derStandard.at: Vertrauen gewinnt man nur, wenn die Menschen wissen, wofür eine Partei steht, wenn es keinen Zickzackkurs gibt. Wie verträgt sich das mit innerparteilicher Demokratie?

Banaszczuk: Hahnenkämpfe finden ja eher nicht an der Basis statt - die Basis spricht ja nicht in die Fernsehkamera. Das sind Personen, die ins Rampenlicht wollen, ihre persönliche Agenda vorantreiben wollen und sich gegenseitig sabotieren. Das ist nicht die breite Masse. Ich kann schon nachvollziehen, dass alle an einem Strang ziehen sollen. Aber ich glaube, dass die Leute viel engagierter gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn es vorher einen Austausch gegeben hat.

Wenn die Vielfalt in der Partei nicht zum Vorschein kommen darf, dann schadet das der Partei, davon bin ich überzeugt. Denn dadurch gehen der Partei ganze Gruppen verloren, die nicht mehr gehört werden - etwa Nichtakademiker. In Hamburg wollten wir eine Lehrlingsgruppe gründen. Wir haben zwei Monate lang gesucht, haben bei den aktiven Jusos keinen einzigen Lehrling gefunden. Alle Aktiven waren Studierende. Das hat mir zu denken gegeben: Wie soll man fundiert Politik für diese Gruppen machen, wenn sie gar nicht mehr drin sind?

derStandard.at: Als Parteifunktionärin mussten Sie manchmal Positionen nach außen hin vertreten, die Sie selbst nicht zu hundert Prozent teilen. Ist Ihnen das schwergefallen?

Banaszczuk: Man missversteht die Aufgabe einer Partei, wenn man glaubt, dass 500.000 Parteimitglieder immer einer Meinung sind. Für mich sind Parteien Wertegebilde: Die grundsätzlichen Werte müssen übereinstimmen, aber nicht alle Meinungen. Genau deshalb finde ich es alarmierend, wenn Menschen keinen grundsätzlichen Unterschied mehr zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen ausmachen können. Denn eigentlich gibt es da einen ganz großen Unterschied, und zwar das Menschenbild. In der CDU geht man von Eigenverantwortung aus, jeder Mensch soll sich einen guten Job suchen und die Kinder zu Hause betreuen. In der SPD sagt man: Der Staat soll unterstützend eingreifen, die Gesellschaft soll solidarisch sein. Ich bin ausgetreten, weil sich die SPD von diesem Wertebild entfernt hat. Wenn das so ist, kann ich auch die Partei nicht nach außen hin vertreten.

derStandard.at: Haben es Frauen in der SPD schwerer als Männer?

Banaszczuk: Auf den höheren Ebenen gibt es etablierte Netzwerke, in die Frauen nicht so leicht reinkommen. Auch an der Basis ist es für Frauen oft schwer, Fuß zu fassen: Frauen mit Kindern können oft nicht zu jedem Treffen der Ortsgruppe gehen. Eigentlich sollte das kein Frauenproblem sein - aber strukturell bedingt trifft es halt leider hauptsächlich Frauen. Und: Die Parteikultur ist manchmal derb. Wenn da oft nur ein paar ältere Männer zusammensitzen, die vor dem Ortstreffen schon miteinander in der Kneipe waren und einen etwas anderen Humor haben, ist das für neue junge Frauen oft eine ganz andere Welt. (Maria Sterkl, derStandard.at, 19.11.2013)